Umgang mit den November-Urteilen des Bundessozialgerichts


KANZLEI intern 04_2017, 3-4

1. Änderung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts

Das Bundessozialgericht hat mit einer Serie von Urteilen vom 11.11.2015 einer jahrzehntelangen Praxis bei der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung von mitarbeitenden Gesellschaftern den Boden entzogen. Die Folgen dieser Rechtsprechungsänderung werden bei den von ihr betroffenen Familiengesellschaftern kaum Assoziationen zum Karneval aufkommen lassen, sondern dürften eher für (november-)graue Tristesse sorgen. War es bisher gem. jahrzehntelanger Rechtsprechung der Sozialgerichte (und Sozialversicherungsträger) recht einfach möglich, als Geschäftsführer mit einer Minderheitsbeteiligung – oder als Minderheitsgesellschafter ohne Geschäftsführeramt – die Sozialversicherungspflicht zu vermeiden, hat das BSG der Tür zu den Fluchtwegen aus der Sozialversicherung nun einen Riegel vorgeschoben. Vermeidungsstrategien, die nicht unmittelbar im Gesellschaftsvertrag verankert sind – sondern im Geschäftsführeranstellungsvertrag, in privatschriftlichen Stimmbindungsverträgen oder in Gesellschafterbeschlüssen – helfen nicht mehr. Nur derjenige Gesellschafter, dem durch den Gesellschaftsvertrag die Rechtsmacht verliehen wird, unliebsame Beschlüsse der Gesellschaft, durch die ihm Weisungen erteilt werden, zu verhindern, ist Unternehmer und unterliegt nicht der Sozialversicherungspflicht (s. hierzu den Beitrag von Meixner in KANZLEI intern 01/2017).

Ausgaben – KANZLEI intern
Diese Änderung der Rechtsprechung hat gravierende Konsequenzen. Sämtliche Minderheitsgesellschafter, die keine statutarische Rechtsmacht zur Verhinderung nicht genehmer Weisungen haben und bisher als einzige „Know-how-Träger“, als „Kopf und Seele“ des Betriebs oder weil sie aufgrund der durch „familienhafte Rücksichtnahme“ geprägten Beschäftigung im Betrieb frei schalten und walten konnten, der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen entgangen sind, müssen nun mit Beitrags(nach-)forderungen der DR Bund rechnen: Soweit kein Vertrauensschutz geltend gemacht werden kann für die nicht verjährte Zeit von vier Jahren rückwirkend. Hierdurch können sich Beitragsnachforderungen i. H. v. über 60.000 € ergeben; soweit Vertrauensschutz besteht jedenfalls für die Zeit ab Bekanntwerden der November-Urteile des Bundessozialgerichts.

2. Informationsbedarf und Service-Erwartungen der Mandanten

Für Gesellschafter kleinerer und mittlerer Familienunternehmen stellen sich die Beitragsnachforderungen typischerweise in voller Höhe als Schaden dar, denn sie wären selbst nie auf die Idee gekommen, sich als sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigte zu sehen. Sie verstehen sich vielmehr als Unternehmer und haben deshalb privat vorgesorgt.

Den Beitragsnachzahlungen für die Vergangenheit stehen deshalb keinerlei Leistungen gegenüber. Führen sozialversicherungsrechtliche Betriebsprüfungen zu Beitragsnachforderungen der DR Bund, empfinden die Mandanten diese deshalb naturgemäß als höchst unerfreulich. Dies kann leicht in Verärgerung umschlagen, wenn der Mandant erfährt, dass die Beitragsnachforderung vermeidbar war. Als natürlichen Adressaten seiner Verärgerung wird der Mandant seinen Steuerberater ausmachen, der mit der Lohnbuchhaltung beauftragt ist. Hat er von diesem keine Information über die entstandene Problemlage und insbesondere über die Gestaltungsmöglichkeiten zur Vermeidung von Beitragsnachforderungen erhalten, ist nicht auszuschließen, dass der Mandant auf den Gedanken kommt, Regress zu nehmen. Außer enttäuschter Erwartungen des Mandanten wegen des ausgebliebenen Informationsservice drohen dann zusätzlich Regressforderungen.

3. Steuerberater zwischen den Stühlen

Ein Steuerberatungsvertrag, der auch die Übernahme der Lohnbuchhaltung umfasst, verpflichtet den Steuerberater zwar grundsätzlich nicht zur Beratung in sozialversicherungsrechtlichen Fragen. Hat es der Steuerberater aber übernommen, Sozialversicherungsbeiträge selbstständig zu berechnen, muss diese Berechnung richtig sein. Er schuldet dann nicht nur die Rechenoperation, sondern auch die Ermittlung von Grundlagen (OLG Düsseldorf, DStRE 2008, 462). Der Steuerberater muss somit zwar nicht von sich aus zur richtigen sozialversicherungsrechtlichen Einordnung von mitarbeitenden Gesellschaftern beraten. Lässt er sich gegenüber seinen Mandanten aber auf die Problematik ein und beantwortet Fragen zur Sozialversicherungspflicht, so haftet er, wenn er falsche Antworten oder Auskünfte gibt. Äußert sich der Steuerberater deshalb vorsorglich nicht zur Sozialversicherungspflicht seiner Mandanten und weist er sie auch nicht auf die Änderung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hin, drohen gleichwohl Haftungsgefahren, denn nach Auffassung des BGH spricht zumindest viel dafür, dass ein Steuerberater, der die Lohnbuchhaltung übernommen hat, bei schwierigen sozialrechtlichen Fragen dem Mandanten empfehlen muss, den Rat eines auf diesem Gebiet erfahrenen Rechtsanwalts einzuholen (BGH NJW-RR 2004, 1358).

Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass Steuerberater in Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV weder im Anfrageverfahren noch vor den Sozialgerichten als Bevollmächtigte auftreten dürfen (BSG DStR 2014, 2030). Ihre Vertretungsbefugnis ist auf Einzugsstellen- und Betriebsprüfungsverfahren beschränkt. Wird der Steuerberater dennoch im Statusfeststellungsverfahren tätig, riskiert er den Verlust des Schutzes seiner Berufshaftpflichtversicherung. Im Verfahren gegenüber der Einzugsstelle nach § 28h Abs. 2 SGB IV – wo Steuerberater vertreten dürfen – lässt sich der sozialversicherungsrechtliche Status aber nicht verlässlich klären. Der Steuerberater sitzt somit zwischen den Stühlen: Er darf seine Mandanten in Statusfeststellungsverfahren weder beraten noch vertreten, sieht sich aber ihren berechtigten Erwartungen gegenüber, über die Folgen der November-Urteile des BSG informiert zu werden. Er möchte seinen Mandanten einerseits einen Informationsservice bieten, andererseits Haftungsrisiken vermeiden. Wie also sollte man sich gegenüber dem Mandanten verhalten?

4. Leitfaden als Service für Mandanten

Als praktikabler Weg bietet sich an, denjenigen Mandanten, bei denen Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer oder Arbeitnehmer-Gesellschafter vorhanden sind, einen „Leitfaden“ zu überreichen, der zum einen das sozialversicherungsrechtliche Problem aufzeigt und zum anderen die grundsätzlich – also nicht im konkreten Einzelfall – in Betracht kommenden Vermeidungsstrategien darstellt. Damit werden dem Mandanten die gesellschaftsrechtlichen Strukturveränderungen dargestellt, die nach neuer Rechtsprechung einen sicheren Hafen der Sozialversicherungsfreiheit gewährleisten. Ergänzend sollte auf die möglichen Nachteile der Strukturveränderungen hingewiesen werden (Lähmung des Unternehmens durch gegenseitige Blockade der Gesellschafter). Auf diesem Wege erhalten die Mandanten eine Erstinformation, dass sie aufgrund der geänderten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts möglicherweise nicht mehr selbstständiger Unternehmer im sozialversicherungsrechtlichen Sinn sind. Sie können sich selbst eine erste Meinung bilden, ob und gegebenenfalls welche Vermeidungsstrategie in ihrem konkreten Fall in Betracht kommt und werden ihrem Steuerberater – wenn sie sich zu einer Strukturänderung entschließen – dankbar sein, dass er sie davor bewahrt hat, künftige Sozialversicherungsbeiträge und hohe Beitragsnachforderungen zu verhindern. Zusätzlich stellt der Steuerberater damit sicher, dass er weder wegen unterbliebener noch wegen falscher Beratung zur Sozialversicherungspflicht der mitarbeitenden Gesellschafter in Anspruch genommen werden kann.

Dr. Rolf Stagat

 

Autor: Dr. Rolf Stagat
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