Die Haftung von Vorstand und Geschäftsführern für Kartellbußen

(GWR 2023, 291)

OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.07.2023 – Az 6 U 1/22 (Kart) 

Die Innenhaftung der Vorstände und Geschäftsführer gegenüber ihrer Gesellschaft für Schäden aus der Verletzung von Sorgfaltspflichten ist streng. Ohne den Schutz einer D&O- Versicherung ist die Übernahme der Organstellung in einer AG oder GmbH kaum noch zu verantworten. Die in der Höhe und im Verschuldensmaßstab unbeschränkte Haftung birgt unübersehbare Risiken. Trotz vielfacher Kritik und Vorschlägen zur Beschränkung des äußerst hohen Haftungsrisikos von Geschäftsführern und Vorständen hat der Gesetzgeber bisher nicht reagiert. Die Risiko-Skala, für Schäden der Gesellschaft persönlich in existenzvernichtendem Maß in Anspruch genommen zu werden, ist nach oben offen. Als haftungsrechtlicher Paukenschlag erscheint deshalb ein Urteil des OLG Düsseldorf vom 27.7.2023, das die persönliche Haftung von Vorstand und Geschäftsführer für Kartell-Geldbußen eines Unternehmens ausschließt.

Dr. Rolf Stagat

Autor: Dr. Rolf Stagat
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 I. Grundsätze der Innenhaftung von Organleitern

Geschäftsführer, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Schaden. So regeln es GmbHG und AktG seit über 100 Jahren. Der BGH leitet aus § 43 II GmbH und § 93 II AktG in gefestigter Rechtsprechung ein strenges Haftungsregime ab, das Geschäftsleiter für jeden mit noch so geringem Verschulden verursachten Schaden in unbeschränkter Höhe persönlich haften lässt. Erforderlich ist lediglich die schuldhafte Verletzung einer Sorgfaltspflicht, die ursächlich für einen Schaden der Gesellschaft ist. Dabei reicht jegliches Verschuldensmaß aus. Anders als im arbeitsrechtlichen System des betrieblichen Schadensausgleichs genügt einfache Fahrlässigkeit für die Begründung der Haftung. Existenzbedrohend wirkt sich häufig aus, dass anders als im arbeitsrechtlichen Haftungssystem bei der Organhaftung jegliche betragsmäßige Begrenzung des Umfangs der Haftung fehlt. Erschwerend kommt hinzu, dass darüber hinaus die Darlegungs- und Beweislast in Organhaftungsprozessen so verteilt ist, dass sie Geschäftsführer und Vorstände oft vor unüberwindbare Hürden stellt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH braucht die Gesellschaft nur darzulegen, dass ein Verhalten im Pflichtenkreis des Geschäftsführers oder Vorstands möglicherweise zu einem Schaden der Gesellschaft geführt hat. Es ist dann Sache des Organs, nachzuweisen, dass es seine Pflichten nicht verletzt bzw. nicht schuldhaft gehandelt hat. Die – im Vergleich zur Arbeitnehmerhaftung – umgekehrte Darlegungs- und Beweislast wird auf § 93 II 2 AktG zurückgeführt. Ist streitig, ob Vorstandsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, trifft sie danach die Beweislast.

II. Der vom OLG Düsseldorf entschiedene Fall 1. Sachverhalt

1. Sachverhalt

In dem vom OLG Düsseldorf am 27.7.2023 entschiedenen Fall war der Beklagte seit 1998 Geschäftsführer der klagenden GmbH (Klägerin zu 1) und Vorstand ihrer ebenfalls klagenden Muttergesellschaft, einer Holding-AG (Klägerin zu 2). Die Unternehmensgruppe der Klägerinnen war im Bereich metallischer Präzisions-Halbzeuge tätig und bezog Stahl von verschiedenen Stahlherstellern. Die Klägerin zu 2) hatte zugunsten des Beklagten eine D&O-Versicherung abgeschlossen. Ebenfalls seit 1998 war der Beklagte Vorstand eines Wirtschaftsverbandes, dem die Klägerin zu 1) als stahlverarbeitendes Unternehmen angehörte. Von 2002 bis 2015 beteiligte sich der Beklagte als Vertreter der Klägerin zu 1) an einem Preiskartell. Er traf als ihr Vertreter gemeinschaftlich handelnd mit Vertretern anderer Unternehmen der Stahlbranche wettbewerbswidrige Vereinbarungen. Im Jahr 2015 wurde der Dienstvertrag des Beklagten mit der Klägerin zu 2) durch Aufhebungsvertrag beendet. Von der darin enthaltenen Erledigungsklausel waren Schadensersatzansprüche aus vorsätzlicher Handlung ausgenommen. Sowohl als Vorstand der Klägerin zu 2) als auch als Geschäftsführer der Klägerin zu 1) wurde der Beklagte im Zeitraum zwischen 2002 und 2014 jedes Jahr entlastet. Wegen der wettbewerbswidrigen Absprachen und Abstimmungen in der Edelstahlbranche erließ das Bundeskartellamt 2018 einen Bußgeldbescheid und verhängte sowohl gegen den Beklagten als auch gegen die Klägerin zu 1) gemäß § 81 I Nr.1 GWB i.V.m.Art. 101 I AEUV ein Bußgeld. Beide Bußgelder wurden von der Klägerin zu 1) bezahlt. Sie fürchtete Schadensersatzansprüche aus Inanspruchnahme potenziell Geschädigter der Kartellabsprachen nach § 33a GWB und verlangte mit ihrer Klage Erstattung der Unternehmensgeldbuße sowie die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen Schadensersatz für alle weiteren Schäden zu leisten, die aus dem Wettbewerbsverstoß resultieren. Das Landgericht stellte die Verpflichtung des Beklagten fest, den Klägerinnen alle weiteren aus dem Wettbewerbsverstoß resultierenden Schäden zu ersetzen, wies die Klage auf Erstattung der gegen die Klägerin zu 1) verhängten Geldbuße jedoch ab. Gegen das Urteil des Landgerichts legten beide Parteien Berufung ein.

2. Meinungsstand zur Regressierbarkeit von Kartell- Geldbußen eines Unternehmens

Prozessziel der Berufung der Klägerinnen war es, nicht nur die Verpflichtung des Beklagten zur Leistung von Schadensersatz für alle aus dem Wettbewerbsverstoß resultierenden Schäden feststellen zu lassen, sondern auch seine Verurteilung zur Erstattung der Unternehmensgeldbuße in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrages, die das Bundeskartellamt der Beklagten zu 1) auferlegt hatte. Damit betraf ihr Begehren eine seit langem umstrittene Frage: Haften Vorstand und Geschäftsführer persönlich auch für Kartell-Geldbußen, die nicht gegen die selbst, sondern gegen das Unternehmen festgesetzt wurden? Der BGH hat die Streitfrage noch nicht geklärt, die Literatur ist gespalten. Die wohl überwiegende Auffassung im Schrifttum (vgl. Fleischer in: BeckOGK, Stand: 1.7.2023, § 93 AktG Rn. 260 bis 263; Spindler in: MuekoAktG 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 194; Fleischer in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 322; Pöschke in: BeckOKGmbHG, § 43 Rn. 309.4; Koch/AktG, 17. Aufl. 2023, § 93 AktG, Rn. 88; Bayer/Scholz, GmbHR 2015, 449-456) bejaht die Schadensersatzpflicht von Organleitern bei schuldhaften Kartellrechtsverletzungen auch hinsichtlich der Unternehmensgeldbußen und verweist auf die schadensrechtliche Differenzhypothese. Danach führen auch Kartellbußgelder zu einer Vermögensminderung bei der Gesellschaft und begründen damit einen Schaden im Sinne des § 249 I BGB. Zwischen strafrechtlicher Sanktion und zivilrechtlicher Inanspruchnahme sei zu trennen. Die Belastung mit einer Geldbuße sei ein zivilrechtlich zu ersetzender Schaden, da es gerade die Aufgabe von Geschäftsführer und Vorstand im Rahmen ihrer Legalitätspflicht sei, die Gesellschaft vor Rechtsverletzungen und ihren Folgen zu schützen. Der Sanktionszweck der Unternehmensgeldbuße werde im Übrigen durch den Regress beim Organleiter nicht unterlaufen, denn die Kartellbußgelder seien meist so hoch, dass die Schadensersatzansprüche gegen ein Organmitglied in der Regel nicht durchgesetzt werden könnten. Für ein Verbot des Kartellbußgeldregresses bestehe keine Veranlassung, denn sie liefe auf eine sektorale Ausnahme hinaus und hätte eine unberechtigte Privilegierung von Kartellrechtsverstößen zur Folge.

Die Gegenmeinung (vgl. LAG Düsseldorf vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NZKart 2015, 277; Verse in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 Rn. 310ff.; Bachmann, BB 2015, 911ff.; Grunewald, NZG 2016, 1121ff.; Thomas, NZG 2015, 1409ff.; Thomas, VersR 2017, 596ff.) verweist demgegenüber auf die exorbitante Höhe von Unternehmensgeldbußen, die beim Regress regelmäßig die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Organleiters zur Folge haben, weshalb die Treuebindung und Fürsorgepflicht der Gesellschaft gegenüber den Organmitgliedern eine Beschränkung des Regresses erfordere. Wie beim innerbetrieblichen Schadensausgleich im Arbeitsrecht müsse auch für Organe die Haftung abgemildert werden. Das Hauptargument ist jedoch der Sanktionszweck der Verbandsbuße, der unterlaufen würde, wenn sich die Gesellschaft durch einen Regress beim Geschäftsleiter oder eine Abwälzung der Geldbuße auf die hinter ihm stehende D&O-Versicherung schadlos halten entlasten könnte.

3. Urteilsgründe

Das OLG Düsseldorf wies die Berufungen sowohl der Klägerinnen als auch des Beklagten zurück. Es stellt klar, dass der Beklagte als Geschäftsführer nach § 43 II GmbHG der GmbH im Innenverhältnis für alle Schäden der Gesellschaft haftet, die er aufgrund der Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht schuldhaft verursacht. Eine Pflichtverletzung liege vor, weil der Beklagte nicht nur fahrlässig, sondern vorsätzlich seine Legalitätspflichten verletzt habe. Es entlaste ihn nicht, dass es ihm bei den Preisabsprachen um den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin zu 1) gegangen sei, denn ein unternehmerisches Ermessen des Organvertreters zur Begehung sog. nützlicher Gesetzesverstöße bestehe nicht. Der Beklagte könne sich auch nicht auf einen Rechtsirrtum berufen. Ein Geschäftsführer habe für die Fähigkeiten und Kenntnisse einzustehen, welche die ihm anvertraute Aufgabe objektiv erfordert. Wer nicht über die nötige Kompetenz verfüge, dürfe das Amt nicht übernehmen. Es gehöre zu den Kardinalspflichten eines Geschäftsführers, dass er zwingende gesetzliche Verhaltensvorgaben der Rechtsordnung uneingeschränkt beachten muss. Der Beklagte könne sich schließlich auch nicht durch die Einholung von Rechtsrat entlasten. Zwar habe er Stellungnahmen von Anwaltskanzleien eingeholt. Im Prozess habe er aber nicht ausreichend dargelegt, welchen Auftrag er ihnen erteilt und welche Informationen er ihnen gegeben hat. Soweit die Klägerinnen mit ihrer Berufung die Verurteilung des Beklagten zur Erstattung der Unternehmensgeldbuße begehrten, scheitere diese aber daran, dass Verbandsgeldbußen von der Organhaftung auszunehmen und die Organhaftung nach § 93 II AktG bzw. § 43 II GmbHG insoweit teleologisch zu reduzieren seien.

III. Praxishinweise

Das OLG Düsseldorf stellt zunächst klar, dass die Klägerin zu 1) gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach gemäß § 43 Abs. 2 GmbH hat. Dabei dekliniert es die strengen Grundsätze des BGH zur Organleiter-Haftung schulbuchartig durch und bejaht eine nicht nur fahrlässige, sondern sogar vorsätzliche Verletzung der Legalitätspflichten. Durch die erfolgten Preisabsprachen habe der Beklagte eine seiner Kardinalspflichten verletzt, nämlich die uneingeschränkte Beachtung der Rechtsordnung, insbesondere auch des Kartellrechts. Weder lässt das OLG einen Verbotsirrtum noch den vom Beklagten erhobenen Einwand der Vorteilsausgleichung gelten. Dieser scheitere ebenso wie der Versuch der Enthaftung durch eingeholten Rechtsrat an der Darlegungs- und Beweislast, welche dem Beklagten obliege, der er aber nicht genügt habe. Bis hierhin folgt das OLG Düsseldorf der bekannten und gefestigten Rechtsprechung des BGH.

Das Überraschende an der Entscheidung ist, dass das Gericht dann hinsichtlich der gegenüber der Klägerin zu 1) verhängten Geldbuße von einer teleologischen Reduktion des Anwendungsbereichs von § 43 II GmbH ausgeht und die Haftung des Beklagten insoweit verneint. Es schließt sich damit der Auffassung im Schrifttum an, die eine Regressierbarkeit von Kartell-Geldbußen ablehnt, weil ein zivilrechtlicher Binnenregress den Zweck der Unternehmensbuße vereitele. Könnte das Unternehmen die Geldbuße auf das Leitungsorgan oder die hinter ihr stehende D&O-Versicherung abwälzen, so würde das nicht nur dem generalpräventiven Zweck des Kartellrechts zuwiderlaufen, sondern nach Auffassung des OLG Düsseldorf praktisch auf eine doppelte Bestrafung des Geschäftsführers hinauslaufen, der dann nicht nur die gegen ihn persönlich verhängte, sondern auch die Unternehmensgeldbuße zu tragen habe. Ob es bei der vom OLG Düsseldorf für die Geschäftsführer und Vorstände gebrochenen Lanze bleibt, wird sich erst in der wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassenen Revision vor dem BGH zeigen. Als Entwarnung dürfen Organleiter das Urteil des OLG aber schon deshalb nicht verstehen, weil es auch ohne persönliche Haftung für die Unternehmensgeldbuße bei der eigenen Geldbuße und vor allem der Haftung für alle weiteren aus dem Bußgeldbescheid des Kartellamts resultierenden Schäden bleibt, also insbesondere für diejenigen aus einer Inanspruchnahme des Unternehmens durch geschädigte Dritte nach §§ 33a GWB.

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