[ Beitrag von Ariane Hald ]

Der BGH hat in seinem von den Medien viel beachteten Hannover 96-Urteil (BGH, Urt. v. 16.7.2024, Az. II ZR 71/23) zu den Fragen der Behandlung eines satzungsdurchbrechenden Gesellschafterbeschlusses und den Auswirkungen vertragswidriger Stimmabgaben zur Abberufung eines Geschäftsführer Stellung bezogen. Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH, die gegen die in der Satzung festgelegte, jedoch nicht auf zwingenden gesetzlichen Vorschriften beruhende Kompetenzverteilung verstoßen, sind nach dieser Entscheidung lediglich anfechtbar, aber nicht nichtig. Weitere Erkenntnis aus dem Urteil ist, dass eine schuldrechtlich vereinbarte Stimmabgabe mit gesellschaftsrechtlichen Mitteln nicht durchgesetzt werden kann. Im Nachgang zum Urteil des BGH hat das OLG Celle (Beschl. v. 10.03.2025, Az. 9 W 22/25) entschieden, dass ein Notgeschäftsführer nicht eingesetzt wird, wenn das satzungsmäßig zuständige Organ besetzt ist.

  1. Sachverhalt

Worum ging es?  Streitgegenstand war die Frage, ob die Abberufung von Martin Kind (Kläger) als einziger Geschäftsführer der Hannover 96 Management GmbH (Beklagte) wirksam erfolgte. Alleingesellschafter der beklagten Hannover 96 Management GmbH ist der Hannoverscher Sport-Verein von 1896 e.V. (Hannover 96 e.V.). Im Juli 2022 fassten Vertreter dieses Vereins in einer Gesellschafterversammlung den Beschluss, den Kläger als Geschäftsführer abzuberufen.

Nach der Satzung der Hannover 96 Management GmbH ist jedoch ihr Aufsichtsrat für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zuständig und nicht – wie es das GmbH-Gesetz vorsieht – die Gesellschafterversammlung. Ein sogenannter Hannover-96-Vertrag zwischen dem Alleingesellschafter Hannover 96 e.V. und den Nichtgesellschaftern Hannover 96 GmbH & Co. KGaA und Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG sieht vor, dass der Hannover 96 e.V. die Satzung der Beklagten nicht ohne vorherige Zustimmung der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG ändern, ergänzen oder ersetzen darf.

Die Vorinstanzen gaben dem Kläger mit unterschiedlichen Begründungsansätzen Recht und erklärten den Abberufungsbeschluss für nichtig. Die Revision der Beklagten war erfolgreich.

2. Keine Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses nach § 241 Nr. 3 AktG

Der BGH entschied, dass der Abberufungsbeschluss mit dem Wesen der GmbH nicht unvereinbar und damit nicht entsprechend § 241 Nr. 3 AktG nichtig ist. Nur eine Verletzung der tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts könne eine Unvereinbarkeit des Beschlusses mit dem Wesen der GmbH und damit eine Nichtigkeit begründen. Das Wesen der GmbH ergebe sich nicht aus den individuellen Satzungsregelungen, sondern aus dem GmbHG und den abstrakt-generellen Strukturmerkmalen des GmbH-Rechts und stehe damit nicht zur Disposition der Gesellschafter. Gesellschafterbeschlüsse, die gegen die in der Satzung festgelegte, nicht aufzwingenden gesetzlichen Vorschriften beruhende Kompetenzverteilung verstoßen, sind daher lediglich anfechtbar.

Individuelle Satzungsbestimmungen, die wie hier dem fakultativen Aufsichtsrat der Gesellschaft die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers zuweisen, zählen nach der Entscheidung des BGH nicht zu den tragenden Strukturprinzipien. Der vom Alleingesellschafter gefasste Abberufungsbeschluss ist mit den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts vereinbar, weil diese Kompetenz gem. § 45 Abs. 2, § 46 Nr. 5 GmbHG grundsätzlich der Gesellschafterversammlung vorbehalten ist.

Auch die Beachtung eines Stimmbindungsvertrags, wie im Streitfall des sog. Hannover-96-Vertrags als Vertrag mit Nichtgesellschaftern, zählt nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts. Bei Stimmbindungsverträgen ist zwischen der schuldrechtlichen und der gesellschaftsrechtlichen Ebene zu unterscheiden. Ein Stimmbindungsvertrag bindet grundsätzlich nur die Vertragsparteien untereinander. Ein Verstoß kann daher nicht mit gesellschaftsrechtlichen Mitteln, also der Anfechtung oder einem Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit, angegriffen werden. Ein solcher Verstoß kann allenfalls einen Anspruch auf Schadensersatz gegenüber den Vertragsparteien begründen, der gegebenenfalls als Naturalrestitution im Wege der Neuabstimmung zu erfüllen ist.

3. Keine Sittenwidrigkeit des Abberufungsbeschlusses nach § 241 Nr. 4 AktG

Der Abberufungsbeschluss ist auch nicht entsprechend § 241 Nr. 4 AktG nichtig. Der Beschluss müsste hierfür für sich allein betrachtet gegen die guten Sitten verstoßen. Beschlüsse, bei denen nicht der eigentliche Beschlussinhalt, sondern nur der Beweggrund oder Zweck gegen die guten Sitten verstößt, oder bei denen die Sittenwidrigkeit in der Art des Zustandekommens liegt, sind lediglich anfechtbar. Eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, welche die Sittenwidrigkeit begründen könnte, kann nicht allein aus einer bewussten Missachtung der satzungsmäßigen Kompetenzverteilung und der bewussten Missachtung des Stimmbindungsvertrages abgeleitet werden. Auch eine Gesamtbetrachtung, die berücksichtigt, dass der Abberufungsbeschluss sowohl gegen die Satzung als auch den schuldrechtlichen Stimmbindungsvertrag verstößt und deshalb das Maß der Pflichtverletzung erhöht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Alleingesellschafter könnte unter Inkaufnahme der mit einer Vertragsverletzung verbundenen Folgen die Satzung ändern und die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers an sich ziehen.

4. Keine Nichtigkeit aufgrund einer Satzungsdurchbrechung

Der Beschluss über die Abberufung als Geschäftsführer ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer sogenannten zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung nichtig. Satzungsdurchbrechungen, die einen von der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand (für die Zukunft) begründen, sind nichtig, wenn die für eine Satzungsänderung geltenden Formvorschriften nicht eingehalten werden. Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass solche Abweichungen von der Satzung Dauerwirkung entfalten und nicht nur gesellschaftsinterne Bedeutung haben, sondern auch den Rechtsverkehr einschließlich etwaiger später eintretender Gesellschafter berühren. Die Abberufung eines Geschäftsführers durch die nach der Satzung dafür nicht zuständige Gesellschafterversammlung betrifft das Zustandekommen des Beschlusses, erledigt sich spätestens mit seiner Bekanntgabe an den Geschäftsführer und begründet daher keinen von der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand.

Darüber hinaus führt auch die ersatzlose Abberufung des einzigen bestellten Geschäftsführers nicht zu einer Satzungsdurchbrechung. Zwar führt die Abberufung des einzigen Geschäftsführers zu einem von den Vorgaben der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand. Dieser Zustand würde aber auch bei einer in Übereinstimmung mit der Satzung erfolgten Abberufung eintreten.

5. Keine Bestellung eines Notgeschäftsführers

Da der Aufsichtsrat der Hannover 96 Management GmbH nicht in der Lage war, sich auf einen Geschäftsführer zu verständigen, wurde die GmbH führungslos. Auf die Beschwerde der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, hat das OLG Celle im Nachgang zum Urteil des BGH die Einsetzung eines Notgeschäftsführers abgelehnt. Ein dringender Fall sei nicht gegeben, wenn der zuständige Aufsichtsrat besetzt und in der Lage ist einen Geschäftsführer zu bestellen. Denn selbst wenn im Aufsichtsrat der GmbH eine Einigung partout nicht zustande kommt, kann durch Gesellschafterbeschluss des Alleingesellschafters zur Vermeidung einer Führungslosigkeit der GmbH dennoch ein neuer Geschäftsführer bestellt werden. Der Hannover 96 e.V. ist also in einer Pattsituation gesellschaftsrechtlich befugt, den Geschäftsführer der GmbH im Alleingang zu bestellen. Wegen der fehlenden Gesellschafterstellung bei der Hannover 96 Management GmbH ist die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG im Wesentlichen darauf beschränkt, ihre etwaigen schuldrechtlichen Ansprüche aus dem Hannover-96-Vertrag gegen den Alleingesellschafter Hannover 96 e.V. geltend zu machen.