Wie können Arbeitnehmer Aktienbezugsrechte gerichtlich durchsetzen? Urteil des BAG vom 19.3.2025 (10 AZR 67/24)
[ Beitrag von Dr. Rolf Stagat ]
Führungskräfte deutscher Unternehmen, die zu einem US-amerikanischen Konzern gehören, erhalten im Rahmen ihrer variablen Vergütungsbestandteile häufig Aktienoptionsrechte der amerikanischen Konzernmutter. Die Ansprüche der Arbeitnehmer hieraus werden in der Regel erst bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses virulent. Kommt es hierüber zum Streit, geht es zunächst darum, ob der Arbeitnehmer überhaupt schon Ansprüche erworben hat, die virtuellen Optionen also „gevestet“ sind. Falls ja kommt es im zweiten Schritt darauf an, ob die Optionsrechte infolge der Kündigung oder Aufhebung des Arbeitsverhältnisses möglicherweise verfallen sind und drittens ist sodann von maßgeblicher Bedeutung, gegen wen und wo die Ansprüche durchgesetzt werden können. Hierzu im Einzelnen:
Virtuelle Aktienoptionen können von Arbeitnehmern in der sog. Vesting-Phase erworben werden. Der Optionsplan sieht hierfür meist Mindestlaufzeiten vor, die das Arbeitsverhältnis gedauert haben muss, um ausübbar gewordene („gevestete“ Optionsrechte zu erwerben. Gevestete virtuelle Aktienoptionen erworben zu haben, bedeutet aber nicht automatisch, sie beim Ausscheiden aus dem Unternehmen auch behalten und versilbern zu können. Häufig sehen Aktienoptionspläne vor, dass die virtuellen Optionsrechte aufgrund bestimmter Ausscheidenstatbestände erlöschen. Optionsrechte des Arbeitnehmers erweisen sich dann als wertlos. Das Bundesarbeitsgericht hat solche Klauseln noch im Jahr 2008 mit der Begründung für wirksam erklärt, dass die Optionen nur eine Verdienstchance darstellen.
Diese Entscheidung aus dem Jahr 2008 hat das Bundesarbeitsgericht mit seinem Urteil vom 19.03.2025 (10 AZR 67/24) zu Gunsten der Arbeitnehmer korrigiert.
Um was ging es?
Der Arbeitgeber hatte einem Arbeitnehmer virtuelle Optionen nach seinem Employee Stock Option Provisions (ESOP) gewährt. Die Ausübbarkeit der virtuellen Optionen setzte nach diesen Bedingungen den Ablauf einer Vesting-Periode von vier Jahren voraus. Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses sollten gevestete virtuelle Optionen unverzüglich verfallen, wenn die Beendigung auf einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers oder einer verhaltensbedingten Kündigung des Arbeitgebers beruht. Nach seiner Eigenkündigung machte der Arbeitnehmer den Fortbestand seiner beim Ausscheiden bereits gevesteten virtuellen Optionen geltend
Wie hat das Gericht entschieden?
Mit seinem Urteil vom 19. März 2025 stellte das Bundesarbeitsgericht klar, dass gevestete virtuelle Aktienoptionen – also bereits ausübbar gewordene Optionsrechte – Arbeitsentgelt darstellen und nicht bloße Verdienstchancen sind. Sie dürfen wegen einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers nicht ohne Weiteres verfallen (§ 611a Abs. 2 BGB; § 307 Abs. 1, 2 BGB).
Vertragsklauseln, die den sofortigen Verfall oder einen beschleunigten De-Vesting (doppelte Verfallsrate nach Ende der Vesting-Periode) vorsehen, sind unwirksam, weil sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen und außerdem eine Kündigungserschwernis darstellen.
Mit diesem Urteil setzt sich das Bundesarbeitsgericht deutlich von seiner früheren Rechtsprechung aus dem Jahr 2008 (10 AZR 351/07) ab, in der es noch zwischen „Vergütung“ und bloßer „Verdienstchance“ unterschieden hat. Das Bundesarbeitsgericht hebt nun den Entgeltcharakter virtueller Optionen hervor. Sie stellen verdientes Arbeitsentgelt dar, das lediglich noch nicht ausgezahlt wurde. Bad-Leaver-Klauseln, die den Wegfall gevesteter virtueller Optionen bei Ausspruch einer Eigenkündigung vorsehen, sind danach unwirksam. Dadurch werden die Rechte von Arbeitnehmern entscheidend gestärkt.
Bedeutung für Arbeitnehmer:
Die neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts schützt Arbeitnehmer vor dem Verfall gevesteter virtueller Optionsansprüche. Das Urteil betrifft allerdings den Fall, dass der Exit-Bonus aus den virtuellen Optionsrechten von der deutschen Arbeitgebergesellschaft und nicht von einer US-amerikanischen Konzerngesellschaft zugesagt wurde. Nicht zu entscheiden hatte das Bundesarbeitsgericht somit über die häufige Konstellation, dass die virtuellen Optionen nicht vom Arbeitgeber, sondern von einer – oft US-amerikanischen – Muttergesellschaft ausgegeben werden. In diesem Fall stellen sich Arbeitnehmern weitere hohe Hürden in den Weg.
Das Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen hatte mit Urteil vom 12.10.2022 (ArbG Villingen-Schwenningen, Urteil vom 12.10.2022 – 8 Ca 339/21; https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001522008) entschieden, dass für die Geltendmachung von Aktienbezugsrechten konzernzugehöriger Arbeitnehmer gegenüber der US-amerikanischen Muttergesellschaft des deutschen Arbeitgebers kein inländischer Gerichtsstand besteht. Ohne ausdrückliche oder konkludente Erklärung der Mitverpflichtung bestünden Aktienbezugsrechte konzernzugehöriger Arbeitnehmer nur gegenüber der einräumenden (ausländischen) Aktiengesellschaft und nicht (auch) gegenüber dem Arbeitgeber. Das Arbeitsgericht hat die Klage gegen den deutschen Arbeitgeber als unbegründet, gegen die amerikanische Muttergesellschaft als unzulässig abgewiesen. Der Kläger war nicht Arbeitnehmer der amerikanischen Muttergesellschaft. Die vom Kläger gegenüber der deutschen Gesellschaft geltend gemachten Aktienbezugsrechte waren damit auch nicht Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag. Schließt ein Arbeitnehmer eine Vereinbarung über die Gewährung von Aktienoptionen nicht mit seinem Arbeitgeber, sondern mit einem anderen Konzernunternehmen ab, so können Ansprüche aus dieser Vereinbarung nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen grundsätzlich nur gegenüber dem vertragschließenden Konzernunternehmen geltend gemacht werden und werden nicht Bestandteil des Arbeitsverhältnisses mit einer Tochtergesellschaft dieses Konzernunternehmens. Der Vertrag über die Gewährung von Aktienoptionen steht dann rechtlich selbstständig neben dem Vertrag des Arbeitnehmers mit der Tochtergesellschaft.
Tipp für Arbeitnehmer:
Wollen Arbeitnehmer Rechte aus virtuellen Aktienoptionen durchsetzen, ist es für ihre Erfolgschancen von maßgeblicher Bedeutung, gegen wen und wo die Ansprüche durchgesetzt werden können. Um nach deutschem Recht gegen den deutschen Arbeitgeber vorgehen zu können, muss dargelegt werden können, dass der deutsche Arbeitgeber sich zumindest konkludent bezüglich der Aktienoptionen mitverpflichtet hat. Hierfür kann jede Erklärung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer geeignet sein, die darauf schließen lässt, er wolle sich auch selbst für die Optionsrechte einsetzen und übernehme hiermit aus dem Arbeitsverhältnis heraus die Verantwortung.