4. Juni 2024: Ein Beitrag zum Wettbewerbsregister, seiner Bedeutung für Unternehmen, die sich an der Vergabe öffentlicher Aufträge beteiligen möchten sowie der Möglichkeit der Selbstreinigung – von Dr. Nicolas Doubleday
Seit etwa zehn Jahren ist die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Status abhängig Beschäftigter deutlich strenger geworden. Personen, die über Jahrzehnte als Selbstständige behandelt wurden und für die deshalb keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden mussten, finden sich nach einer Betriebsprüfung zu ihrer Überraschung als abhängig Beschäftigte wieder und werden mit Beitragsnachforderungen in immenser Höhe konfrontiert. Kleinere Unternehmen geraten dadurch nicht selten in Insolvenzgefahr. Bei genauerer Analyse zeigt sich, dass diese strengere Rechtsprechung nicht dogmatisch begründet, sondern von Kasuistik getrieben ist, die von Einzelfall zu Einzelfall eilt. Um mehr Beitragszahler zu generieren, mit denen dem finanziellen Zerfall der gesetzlichen Versicherung entgegengesteuert werden soll, wird der Begriff der Beschäftigung immer weiter ausgelegt. Unser Partner Dr. Rolf Stagat zeichnet dies in seinem Beitrag am Beispiel der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Status von Volkshochschuldozenten nach.
I.
Ausgangssituation
Für die Volkshochschulen in Deutschland sind traditionell Personen tätig, die von den Volkshochschulen beauftragt werden, Lehrveranstaltungen in Form von Unterrichten oder Kursen durchzuführen. Diese Dozenten sind regelmäßig nicht hauptberuflich für die Volkshochschule tätig, sondern üben ihre Dozententätigkeit nebenberuflich aus. Arbeitsrechtlich werden sie nicht als Arbeitnehmer eingestuft, sondern als freie Mitarbeiter. Sozialversicherungsrechtlich sind sie in der Vergangenheit sowohl von der DR Bund als zuständigem Rentenversicherungsträger als auch von den Sozialgerichten nicht als sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigte, sondern als Selbstständige behandelt worden.
Seit ungefähr zehn Jahren ist in der Rechtsprechung der Sozialgerichte die Tendenz festzustellen, den Kreis der sozialversicherungspflichtigen Beitragszahler zu vergrößern. Dies geschieht durch eine erweiterte Auslegung des Begriffs der Beschäftigung. Der Sozialversicherungspflicht unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV). Beschäftigung ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 SGB IV).
Die Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ist danach nicht auf Arbeitsverhältnisse beschränkt, sondern kann auch Vertragsverhältnisse erfassen, die nicht die Anforderungen eines Arbeitsverhältnisses erfüllen (z.B. sind Geschäftsführer einer GmbH mangels Unterwerfung unter das Direktionsrecht nicht Arbeitnehmer, aber Beschäftigte im sozialversicherungsrechtlichen Sinn). Die in den letzten Jahren festzustellende Tendenz der erweiterten Auslegung des Begriffs der Beschäftigung alle Branchen und Arten von Tätigkeiten. So ist das Bundessozialgericht u.a. dazu übergegangen, Gesellschafter einer GmbH, die alleinige Geschäftsführer und mit 50 % an ihrem Unternehmen beteiligt sind, als abhängig beschäftigt einzustufen (BSG Urteil vom 11.11.2015 – B 12 R 2/14 R) , ebenso wurden Honorarärzte in Krankenhäusern (BSG, Urteil vom 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R) oder auch Gesellschafter-Geschäftsführer einer Rechtsanwalts- GmbH als abhängig Beschäftigte betrachtet und der Sozialversicherungspflicht unterworfen (BSG Urteil vom 28.06.2022 – B 12 R 4/20 R).
Im Zuge dieser Entwicklung sind auch Dozenten an Volkshochschulen von verschiedenen Sozialgerichten einer geänderten Betrachtung unterworfen worden. Der Deutsche Volkshochschul-Verband hat in einem Rundschreiben vom 9. Februar 2024 auf diese Entwicklung hingewiesen und eine Risikoeinschätzung abgegeben. Er stellt fest,
„dass die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV), insbesondere bei Maßnahmen aus dem Gesamtprogramm Sprache, den Erstorientierungskursen, bei Auftragsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit sowie in der Ganztagsbetreuung immer öfter die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung ankündigt. Vereinzelt wird dies aber auch neuerdings bei Angeboten aus dem offenen Programm erwogen, selbst wenn der Stundenumfang gering ist.“
Das strengere Vorgehen der DR Bund bei der Statusprüfung wird sowohl vom deutschen Volkshochschul-Verband als auch teilweise in der Fachliteratur auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 2022 (BSG, Urteil vom 28. 06. 2022 – 12 R 3/20 R) zurückgeführt. Der Deutsche Volkshochschul-Verband verweist außerdem auf eine Verlautbarung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger vom 4. Mai 2023 zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Lehrern und Dozenten.
II.
Entwicklung der Rechtsprechung
Nachfolgend soll die Entwicklung der Rechtsprechung der Sozialgerichte zum Status von Volkshochschuldozenten anhand einschlägiger prägender Entscheidungen nachgezeichnet werden. Eingegangen wird insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (im folgenden auch „BSG“), aber auch auf aktuelle Entscheidungen der Landessozialgerichte, die nach dem Urteil des BSG vom 28. 06. 2022 (12 R 3/20 R) ergangen sind.
1. Urteil des Bundessozialgerichts vom 12.02.2004 – B 12 KR 26/02 R
(„Volkshochschuldozentin für Deutsch“)
Das Bundessozialgericht hat im Jahr 2004 über die Frage des sozialversicherungsrechtlichen Status einer Dozentin bei der Volkshochschule Wiesbaden entschieden, deren Tätigkeit im Fach „Deutsch als Fremdsprache“ die Leitung von Deutschkursen in dem der VHS von der Arbeitsverwaltung übertragenen „Sprachlehrgang für Aussiedler, Asylberechtigte und Kontingentflüchtlinge“ umfasste. Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz war in der Vorinstanz zu dem Ergebnis gekommen, dass die Dozentin nach dem Gesamtbild ihrer Tätigkeit für die VHS nicht in einer abhängigen Beschäftigung stand. Als Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung legte es die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zugrunde, nach der eine Beschäftigung voraussetzt, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist und dies bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb der Fall ist, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Eine selbständige Tätigkeit sei demgegenüber vornehmlich durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft sowie die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz weist in seinem Berufungsurteil auch darauf hin, dass die Gesetzgebung zur Sozialversicherung selbst anerkennt, dass der Beruf eines Lehrers sowohl in Form abhängiger Beschäftigung als auch in Form selbstständiger Tätigkeit ausgeübt werden kann, da § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für selbstständig tätige Lehrer, die keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung anordnet.
Das Berufungsgericht nimmt außerdem Bezug auf die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliegende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach Lehrer je nach den Umständen des Einzelfalles als selbstständig tätige oder als abhängig Beschäftigte angesehen worden sind. Schließlich erwähnt es die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die Lehrkräfte außerhalb von Universitäten und Hochschulen im Status danach unterscheidet, ob sie an allgemeinbildenden Schulen unterrichten oder ob die Tätigkeit außerhalb schulischer Lehrgänge erfolgt. Diejenigen, die an allgemeinbildenden Schulen unterrichten, sind danach Arbeitnehmer. Volkshochschuldozenten, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten, können nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dagegen als freie Mitarbeiter beschäftigt sein, auch wenn es sich bei ihrem Unterricht um aufeinander abgestimmte Kurse mit vorher festgelegten Programm handelt (BAG NZA 1993,174; BAG Urteil vom 11.10.2000 – 5 AZR 289/99).
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien der Rechtsprechung kam das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz bei Würdigung des Gesamtbilds der Tätigkeit zu dem Ergebnis, dass die klagende Dozentin nicht abhängig beschäftigt ist.
Das Bundessozialgericht hat die Kriterien, aus denen das Landessozialgericht eine selbstständige Tätigkeit der Dozentin ableitete, grundsätzlich bestätigt und u.a. ausgeführt, dass Lehrer nach dem Gesetz abhängig Beschäftigte oder Selbstständige sein können. Außerdem sieht es folgende Umstände als Kriterien als Indizien für selbstständige Tätigkeit an:
– Bezahlung nur für tatsächlich geleistete Unterrichtsstunden
- Pflicht zur Nachholung ausgefallener Unterrichtsstunden
- kein bezahlter Urlaub
- Fehlen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
- Vertragsabschluss nur, wenn sich genügend Interessenten für die Kurse finden
Des Weiteren bestätigt das Bundessozialgericht die Auffassung, dass die Einbindung der Dozentin hinsichtlich Zeit, Ort und äußerem Rahmen ihrer Tätigkeit in bestimmte Bedingungen der VHS die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nicht begründe. Aus Sicht des Bundessozialgerichts fehlte in der Berufungsentscheidung lediglich eine detaillierte Feststellung der konkreten Arbeitsumstände der Dozentin, weshalb es die Sache zur weiteren Aufklärung zurückverwies.
Im Ergebnis bestätigt das Bundessozialgericht mit dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung, wonach Volkshochschuldozenten je nach konkreter Ausgestaltung im Einzelfall abhängig beschäftigt, aber auch selbstständig tätig sein können.
2. Urteil des Bundessozialgerichts vom 03.2018 – B 12 R 3/17
(„Gitarrenlehrer“, Musikschullehrer I – Entscheidung)
In einem aktuelleren Urteil aus dem Jahr 2018 hatte das Bundessozialgericht über die Lehrtätigkeit eines Gitarrenlehrers an einer städtischen Musikschule zu befinden und veröffentlichte u.a. folgende Leitsätze:
- Die Tätigkeit von Lehrern an einer Musikschule kann je nach Ausgestaltung der Beziehungen zur Schule sowohl in abhängiger Beschäftigung als auch in selbständiger Tätigkeit erbracht werden.
Die Geltung eines Lehrplanwerks führt nicht per se zur Annahme von Weisungsunterworfenheit.
Der Gitarrenlehrer war an einer städtischen Musikschule mit einem durchschnittlichen Umfang von acht bis zwölf Wochenstunden tätig. Die Schule beschäftigte 18 fest angestellte Musiklehrer und zehn auf honorarvertraglicher Grundlage. Der Unterricht fand in den Räumen der Musikschule statt, für die der Lehrer je Stunde pauschal 23,50 Euro erhielt. Auf die Auswahl der Schüler, die nur mit der Schule einen Vertrag abschließen konnten, hatte der Gitarrenlehrer keinen Einfluss, er konnte ihm zugewiesene Schüler im Einzelfall jedoch ablehnen. Wenn er an Konferenzen der Schule teilnahm, erhielt er im Gegensatz zu den festangestellten Lehrern eine zusätzliche Vergütung. Gegenstand des Vertrages mit der Schule war „eine selbständige Tätigkeit als freier Mitarbeiter, die sich nach den Regelungen über den Dienst- und Werkvertrag richtet“. Er griff auf eigene Instrumente mit entsprechendem Ausrüstungszubehör zurück.
Der Gitarrenlehrer hatte bei der beklagten DR Bund ein Statusfeststellungsverfahren initiiert, das zur Feststellung der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung führte. Auch das Sozialgericht und das Landessozialgericht Namen eine abhängige Beschäftigung des Gitarrenlehrers an. Das Bundessozialgericht kam jedoch zur gegenteiligen Auffassung und stufte den Gitarrenlehrer als selbstständig ein.
Ausgehend von den sozialversicherungsrechtlichen Grundlagen der abhängigen Beschäftigung in § 7 Absatz 1 SGB IV hat das BSG zunächst die gängigen Kriterien für die Statusbeurteilung dargelegt und deutlich gemacht, dass erst eine umfassende und nachvollziehbare Gesamtschau eine abschließende Entscheidung erlaube. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw. der selbstständigen Tätigkeit setze dabei voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden.
Da der Gitarrenlehrer keinen konkreten arbeitsplatzbezogenen Weisungen und auch keiner umfassenden Eingliederung unterlegen habe, komme den vertraglichen Gestaltungen eine besondere Bedeutung zu. Gerade bei Musiklehrern habe das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 17.10.2017, 9 AZR 792/16) aufgrund von fehlenden Weisungsrechten ein Arbeitsverhältnis nicht befürwortet. Insoweit sei es auch von untergeordneter Bedeutung, dass der Gitarrenlehrer nicht über eigene Betriebsräume verfügt habe. Deshalb komme dem „gemeinsam geäußerten und auch gelebten Vertragswillen ein beachtliches Gewicht“ zu.
Das Bundessozialgericht verweist darauf, dass zwingendes Recht einer Qualifizierung der Vertragsverhältnisse von Musikschullehrern als freie Dienstverträge nicht entgegenstehe und zu dem Ergebnis, dass die ausgeübte Tätigkeit des Gitarrenlehrers keine abhängige Beschäftigung ist.
Das Bundessozialgericht hält insbesondere fest, dass
– das Lehrplanwerk des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) als Grundlage für den Unterricht keine Weisungsunterworfenheit unter das Direktionsrecht der Musikschule begründet
– die Vorgabe gewisser „Eckpunkte“ des jeweiligen „Einsatzauftrags“ wie Beginn und Ende des Einsatzes und „grober“ Inhalt der Tätigkeit weder die Annahme von Weisungsunterworfenheit noch die Eingliederung in eine fremde Betriebsordnung begründen können
– die Tatsache, dass der Gitarrenlehrer seine Dienstleistung in den Räumen der Musikschule erbringen und sich zeitlich an deren Unterrichtsplanung und -konzept orientieren musste, nicht gegen eine selbstständige Tätigkeit spricht.
Dieses Urteil wurde in den Fachkreisen so verstanden, dass Volkshochschuldozenten sozialversicherungsrechtlich nach wie vor als selbstständig angesehen werden können, sodass sie nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen.
Die Entscheidung vom 14.03.2018 bestätigt insoweit die bisherige Linie des Bundessozialgerichts, welche die Tätigkeit eines Musiklehrers je nach konkreter Ausgestaltung sowohl im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung als auch in Form selbstständiger Tätigkeit für möglich hält und für die Zuordnung auf die jeweiligen konkreten Umstände des Einzelfalls abstellt.
3. Urteil des Bundessozialgerichts vom 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R
(„Klavierlehrerin“, Musikschullehrer II – Entscheidung)
Im Jahr 2022 erließ das Bundessozialgericht ein Urteil, das sich nicht direkt mit dem Status von Volkshochschuldozenten befasste, sondern mit der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung einer Klavierlehrerin, die an einer städtischen Musikschule tätig war.
Zwischen der Musikschule und der Klavierlehrerin bestand eine unbefristete Vereinbarung über eine „freiberufliche Unterrichtstätigkeit“ im Fach Klavier/ Keyboard. Die Lehrerin erhielt ein festgelegtes Honorar für geleistete und solche Unterrichtsstunden, deren Ausfall die Schüler zu vertreten hatten. Aufgrund von Erkrankung oder sonstiger Verhinderung der Lehrerin ausgefallene Unterrichtsstunden konnte sie in Absprache mit der Schulleitung nachholen. Sie hatte den Unterricht persönlich in den Räumen der Musikschule unter Nutzung der dort vorhandenen Klaviere/Keyboards auf der Basis der Rahmenlehrpläne des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) zu erteilen und sich dabei an den zeitlichen Vorgaben der Musikschule zu orientieren, die einen Stundenplan erstellte. Sie war verpflichtet, mindestens einmal im Jahr Schülervorspiele durch Proben vorzubereiten und durchzuführen sowie jeweils zweimal im Jahr an Gesamtlehrer- und Fachbereichskonferenzen teilzunehmen. Hierfür erhielt sie eine gesonderte Vergütung. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie Urlaubsansprüche wurden ausgeschlossen.
Das Sozialgericht war in erster Instanz von einer abhängigen Beschäftigung der Klavierlehrerin ausgegangen, das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat dagegen in der Berufung festgestellt, dass mit der Klavierlehrerin ein selbstständiges Dienstverhältnis vereinbart und umgesetzt worden sei. Das Bundessozialgericht hat das Berufungsurteil abgeändert und kam zu dem Ergebnis, die Klavierlehrerin sei abhängig beschäftigt.
In seinen Entscheidungsgründen wiederholt das Bundessozialgericht zunächst seine ständige Rechtsprechung, nach der eine Beschäftigung voraussetzt, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist und dies bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb der Fall ist, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt, wogegen eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft sowie die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet sei.
Es bestätigt des Weiteren die bisherige Rechtsprechung, dass die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw. der selbstständigen Tätigkeit voraussetzt, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden.
Unter Zugrundelegung dieser nicht neuen Maßstäbe befindet das Bundessozialgericht, dass bei der Klavierlehrerin nach dem Gesamtbild der Tätigkeit – anders als in der Senatsentscheidung zum Gitarrenlehrer vom 14.03.2018 – die Indizien für eine abhängige Beschäftigung überwiegen.
4. Urteil des Landessozialgerichts Sachsen vom 08.09.2022 – L 9 KR 83/16
(„Kursleiterin für Deutsch als Fremdsprache“)
Nach der Musikschullehrer II – Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28.06.2022 erging am 08.09.2022 eine obergerichtliche Entscheidung des Landessozialgerichts Sachsen zur Statusbeurteilung einer Volkshochschullehrerin für die Sprachkurse „Deutsch als Fremdsprache“ (als Selbstzahlerkurs, Integrationskurs, Orientierungskurs), die u. a. bei der Unterrichtserteilung im jeweiligen Kurs mit einem anderen Kursleiter (Co-Dozenten) arbeitsteilig zusammenwirkte und in die Erfüllung verwaltungs-organisatorischer Aufgaben im Rahmen der betrieblichen Organisation der Volkshochschule eingebunden war (z.B. Führen von Anwesenheitslisten, eines Klassenbuchs, Teilnahme an Dienstbesprechungen zum Informationsaustausch auch über und für die Teilnehmer, Durchführung und Korrektur von Lernstandtests).
Die Volkshochschullehrerin beantragte festzustellen, dass eine Beschäftigung vorliege. Das Landessozialgericht Sachsen hat ihr Recht gegeben und ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis festgestellt.
Auch bei diesem Urteil handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung. Der Senat stellte im Ergebnis der Beweisaufnahme aufgrund der Angaben der Beteiligten und der gehörten Zeugen sowie vorgelegten Dokumente fest, dass die Dozentin bei der vereinbarungsgemäß in Erfüllung der Unterrichtstätigkeit einem Weisungsrecht der Volkshochschule nach Ort, Zeit, Dauer und Inhalt der Arbeitsleistung unterlag und in einer ihre Tätigkeit prägenden Weise in den Betriebsablauf der Volkshochschule eingegliedert war.
Maßgeblich für dieses Ergebnis war für das Landessozialgericht Sachsen insbesondere, dass
– die Dozentin ihre Arbeitsleistung nicht nur nach dem vorgegebenen Unterrichtsplan, sondern auch im arbeitsteiligen Zusammenwirken mit einem Lehrerkollegen unter gegenseitiger Abstimmung erbringen musste
– sie zum Führen des Klassenbuchs verpflichtet war
– von einer Fachbereichsleiterin organisierte regelmäßige Treffen mit Dozenten Kollegen nicht vergütet wurden
– die Dozentin zur Umsetzung verwaltungs-organisatorischer Aufgaben verpflichtet war und
– sie Anwesenheitslisten führen musste.
Demgegenüber bestätigte das Landessozialgericht Sachsen, dass
– die regulatorischen Vorgaben der Integrationskursverordnung keine zwingende Wirkung hinsichtlich des sozialversicherungsrechtlichen Status von Volkshochschule Dozenten für Deutsch als Fremdsprache haben
– nicht allein wegen der Benutzung der Räume, Lehrmaterialien und sonstigen Gebrauchsgegenständen der Volkshochschule eine abhängige Beschäftigung angenommen werden kann.
Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich – auch nach dem Urteil des Landessozialgerichts Sachsen – danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.
Das Gericht bestätigt damit die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, dh den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (BSG, Urteil vom 4. Juni 2019 – B12R1018R B 12 R 10/18 R, BSG Urteil vom 7. Juni 2019 – B12 R 618 R B 12 R 6/18 R).
Dem Urteil des Landessozialgerichts Sachsen ist im Ergebnis kein Hinweis zu entnehmen, dass es Volkshochschullehrer generell als abhängig Beschäftigte betrachtet.
5. Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 27.04.2023 – L 1 BA 12/22
Die – soweit ersichtlich – aktuellste Entscheidung zur Sozialversicherungspflicht von Lehrkräften ist das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 27.04.2023, in dem es um eine Dozentin an einer Berufsfachschule ging. Die Dozentin begehrte die Feststellung, sie sei abhängig beschäftigt, scheiterte damit aber in der Berufung.
Das Landessozialgericht Hamburg kam zu der Überzeugung, dass die Dozententätigkeit im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit ausgeübt wurde.
Das Landessozialgericht geht in den Entscheidungsgründen ausdrücklich auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28.06.2022 („Klavierlehrerin“) ein und führt aus, dass sich das Bundessozialgericht in seinem Urteil „von seiner „Sonderrechtsprechung für lehrende Tätigkeiten“ distanziert und auf die allgemeinen Abgrenzungskriterien für die Einordnung als abhängig beschäftigt oder selbstständig zurückgezogen“ habe (Urteil vom 27.04.2023 – L 1 BA 12/22, Rdn 71).
Anhand dieser allgemeinen Abgrenzungskriterien kommt das Landessozialgericht Hamburg im Rahmen der Gesamtabwägung zu der Überzeugung, dass die Dozententätigkeit der Lehrkraft im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit ausgeübt worden ist. Entscheidendes Kriterium ist für das Landessozialgericht Hamburg die fehlende Eingliederung der Dozentin in die Arbeitsorganisation der Klägerin. Diese fehlende Eingliederung zeige sich daran, dass die Lehrerin nur in sehr geringem Umfang in die Arbeitsorganisation der Schule eingebunden war. Daran ändere nichts, dass sie ein Klassenbuch zu führen hatte und sich gelegentlich mit dem Schulleiter über einzelne Azubis besprochen habe.
III.
Auswirkungen der Musikschullehrer II – Entscheidung auf die Prüfpraxis der DR Bund
1. Besprechung des PKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs vom 04.05.2023
In einer Besprechung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger vom 4. Mai 2023 wurden die Kriterien für die Prüfung des Status von Lehrern und Dozenten erörtert und in einem Besprechungsprotokoll niedergelegt („Versicherungsrechtliche Beurteilung von Lehrern und Dozenten“). In dem Papier wird auf die ständige Rechtsprechung des BSG Bezug genommen, wonach eine Beschäftigung voraussetzt, dass der Beschäftigte vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Davon sei auszugehen, wenn der Beschäftigte seine Tätigkeit nicht frei gestalten kann, sondern in einen fremden Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit könne eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein.
Das Besprechungsprotokoll führt weiter aus, das BSG habe in seiner jüngeren Rechtsprechung der letzten Jahre das Kriterium der betrieblichen Eingliederung geschärft und dessen maßgebende Bedeutung für die Statusbeurteilung herausgestellt. Eine im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit deute nach dieser jüngeren Rechtsprechung nur dann auf eine selbstständige Tätigkeit, wenn diese Freiheit tatsächlich Ausdruck eines fehlenden Weisungsrechts und nicht nur Folge der Übertragung größerer Eigenverantwortung bei der Aufgabenerledigung ist.
2. Ableitungen der DR Bund aus der Musikschullehrer II – Entscheidung
Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger gehen in ihrem Papier sodann ausdrücklich auf die der Musikschullehrer II – Entscheidung ein. Mit seinem Urteil vom 28.6.2022 zu einer Musikschule Lehrerin an einer städtischen Musikschule habe das BSG auch seine Rechtsprechung zur Statusbeurteilung von Lehrern und Dozenten fortentwickelt und die bereits in der jüngeren Rechtsprechung vorgenommene Schärfung des Kriteriums der betrieblichen Eingliederung und dessen maßgebender Bedeutung für die Statusbeurteilung auch bei der Charakterisierung dieses Personenkreises angewandt.
Nach dieser von der DR Bund erkannten „Schärfung des Kriteriums der betrieblichen Eingliederung“ stehe eine Musikschullehrerin, deren Tätigkeit sich durch die Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung in festgelegten Räumen kennzeichnet und die auch in prägender Weise in die Organisationsabläufe der Musikschule eingegliedert ist, indem diese die gesamte Organisation des Musikschulbetriebs in ihrer Hand hält, die Räume und Instrumente kostenfrei zur Verfügung stellt und nach außen gegenüber den Schülern allein auftritt, in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Musikschule.
3. Präzisierung der Prüfkriterien der DR Bund
Aufgrund ihrer Einschätzungen der aktuellen Rechtsprechung des BSG haben die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung ihre Beurteilungsmaßstäbe für Lehrer und Dozenten präzisiert. Nach dieser Präzisierung sind Lehrer/ Dozenten/Lehrbeauftragte an Universitäten, Hoch- und Fachhochschulen, Fachschulen, Volkshochschulen, Musikschulen in den Schulbetrieb eingegliedert und stehen in einem Beschäftigungsverhältnis zu diesen Schulungseinrichtungen, wenn die Arbeitsleistung insbesondere unter folgenden Umständen erbracht wird:
– Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung
– Festlegung bestimmter Unterrichtszeiten und Unterrichtsräume (einzelvertraglich oder durch Stundenpläne) durch die Schule/Bildungseinrichtung
– kein Einfluss auf die zeitliche Gestaltung der Lehrtätigkeit
– Meldepflicht für Unterrichtsausfall aufgrund eigener Erkrankung oder sonstiger Verhinderung
– Ausfallhonorar für unverschuldeten Unterrichtsausfall
– Verpflichtung zur Vorbereitung und Durchführung gesonderter Schülerveranstaltungen
– Verpflichtung zur Teilnahme an Lehrer- und Fachbereichskonferenzen oder ähnlichen Dienst- oder Fachveranstaltungen der Schuleinrichtung (dem steht eine hierfür vereinbarte gesonderte Vergütung als eine an der Arbeitszeit orientierter Vergütung nicht entgegen)
– selbstgestalteter Unterricht auf der Grundlage von Lehrplänen als Rahmenvorgaben geht nicht mit typischen unternehmerischen Freiheiten einher. Die zwar insoweit bestehende inhaltliche Weisungsfreiheit kennzeichnet die Tätigkeit insgesamt nicht als eine in unternehmerischer Freiheit ausgeübte Tätigkeit, insbesondere wenn
– keine eigene betriebliche Organisation besteht und eingesetzt wird
– kein Unternehmerrisiko besteht
– keine unternehmerischen Chancen bestehen, weil zum Beispiel die gesamte Organisation des Schulbetriebs in den Händen der Schuleinrichtung liegt und keine eigenen Schüler akquiriert und auf eigene Rechnung unterrichtet werden können, sowie die geschuldete Lehrtätigkeit nicht durch Dritte erbracht werden kann
IV.
Bedeutung der Musikschullehrer II – Entscheidung und der geänderten Prüfpraxis der DR Bund für die künftige Statusbeurteilung von Volkshochschuldozenten durch die Sozialgerichte
1. Bedeutung der Musikschullehrer II – Entscheidung des BSG für die künftige sozialgerichtliche Status- Beurteilung von Volkshochschuldozenten
In Teilen der sozialversicherungsrechtlichen Literatur wird die Auffassung vertreten, das Bundessozialgericht habe in seiner Musikschullehrer II -Entscheidung neue Positionen zur Statusbestimmung von Lehrern an Musik- und Volkshochschulen bestimmt (vgl. Brock, öAT 2023, 111). Hierfür wird im Einzelnen auf folgende Passagen des Urteils des BSG vom 28.06.2022 verwiesen:
aa) 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ordnet eine Versicherungspflicht (auch) für selbstständig tätige Lehrer an, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Dadurch werde deutlich, dass Lehrkräfte grundsätzlich abhängig beschäftigt sind, aber auch einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen können (BSG Urteil vom 28.06.2022, Rn. 15). Hieraus wird gefolgert, dass das BSG das Regel- Ausnahme- Verhältnis beim Status von Lehrkräften umgekehrt habe (Brock, öAT 2023, 111, 112).
bb) Die in 7 I 2 SGB IV genannten Anhaltspunkte der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung stehen nach den Ausführungen des BSG weder in einem Rangverhältnis zueinander noch müssen sie stets kumulativ vorliegen. Eine Eingliederung gehe nicht zwingend mit einem umfassenden Weisungsrecht einher. Insbesondere bei Dienstleistungen höherer Art bestehe weitgehend fachliche Weisungsfreiheit. Dennoch könne die Dienstleistung in solchen Fällen fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung eines fremden Betriebs erhalte (BSG Urteil vom 28.06.2022, Rn. 18). Werden insoweit lediglich Rahmenvorgaben vereinbart, so spreche dies erst dann für Selbstständigkeit, wenn die Tätigkeit durch typische unternehmerische Freiheiten geprägt ist, die dem Betroffenen eigenes unternehmerisches Handeln mit entsprechenden Chancen und Risiken erlauben. Eine selbstständige Tätigkeit sei erst dann anzunehmen, wenn bei ihrer Verrichtung eine Weisungsfreiheit vorhanden ist, die sie insgesamt als eine unternehmerische kennzeichnet (BSG Urteil vom 28.06.2022, Rn. 18).
Diese Urteilspassage wird z.T. so interpretiert, dass die Eingliederung eine – von der Weisungsabhängigkeit unabhängige – eigene Bedeutung bekomme und bei einer selbstständigen Tätigkeit eine Weisungsfreiheit bestehen müsse, welche die selbstständige Tätigkeit insgesamt als unternehmerische kennzeichne (Brock, öAT 2023, 111, 113).
cc) Die Möglichkeit, einzelne Schüler ablehnen zu können, vermittelt nach Auffassung des BSG noch keine unternehmerische Gestaltungsfreiheit (BSG Urteil vom 28.06.2022, Rn. 23). Hieraus wird gefolgert, die Freiheit eines Dozenten, Einzelaufträge ablehnen zu können, spiele aus Sicht des BSG als Kriterium für Selbstständigkeit vielfach keine Rolle mehr (Brock, öAT 2023, 111, 112).
- In der aktuellen sozialversicherungsrechtlichen Literatur, die das Musikschullehrer II – Urteil bereits berücksichtigt, wird darauf verwiesen, dass sich das BSG hinsichtlich der statusrechtlichen Beurteilung von Lehrern und Dozenten weitgehend an der Rechtsprechung des BAG orientiert. Lehrer und Unterrichtende an allgemeinbildenden Schulen seien danach in aller Regel Beschäftigte, auch wenn sie ihren Unterricht nebenberuflich erteilen.
Volkshochschuldozenten, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten, könnten aber auch als freie Mitarbeiter beschäftigt werden, und zwar selbst dann, wenn es sich bei ihrem Unterricht um aufeinander abgestimmte Kurse mit vorher festgelegtem Programm handelt. Beschäftigteneigenschaft sei dann zu bejahen, wenn im Einzelfall festzustellende Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass der erforderliche Grad der persönlichen Abhängigkeit gegeben ist, insbes. die einseitige Einteilung in Stundenpläne. Für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses sei dagegen erforderlich, dass die Volkshochschullehrer wie eine Lehrkraft an allgemeinbildenden Schulen in den Schulbetrieb eingegliedert sind. Entscheidend komme es darauf an, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist und in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und Weise seiner Erteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der Dienstleistung gestalten kann (Zieglmeier, GROSSKOMMENTAR (Kasseler Kommentar) zu SGB IV § 7 Beschäftigung; Körner/Krasney/Mutschler, Stand: 15.11.2023).
Die Klassifizierung des Vertragsverhältnisses könne jedoch nicht von dem Gegenstand des Unterrichts abhängig gemacht werden. Entscheidend sei nicht die Bindung an schulrechtliche Vorschriften und Lehrpläne, sondern ob und inwieweit die Lehrkraft in zeitlicher Hinsicht dem Weisungsrecht des Schulträgers unterliegt (Zieglmeier, aaO zu SGB IV § 7 Beschäftigung).
- Die Entscheidungsgründe des Urteils des BSG und die Stimmen in der juristischen Literatur hierzu geben keinen Anlass, von einer grundsätzlichen Änderung seiner Rechtsprechung zur Statusfeststellung von Musiklehrern auszugehen. Das Bundessozialgericht ist in der Musikschullehrer II – Entscheidung aufgrund einer Einzelfallentscheidung zu einem anderen Ergebnis als in dem Gitarrenlehrer-Urteil aus dem Jahr 2018 gekommen. Dem Urteil sind deshalb auch keine grundsätzlich neuen Positionen zur Statusbestimmung zu entnehmen.
Das Verhältnis von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV lässt nicht berechtigterweise den Schluss zu, dass Lehrkräfte grundsätzlich abhängig beschäftigt sind. Das Gesetz enthält keine Rangordnung der beiden Vorschriften. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI geht vielmehr davon aus, dass Lehrer ihre Tätigkeit selbstständig ausüben können, ohne dies in irgendeiner Form als Ausnahme zu deklarieren.
Dass eine selbstständige Tätigkeit erst dann anzunehmen sei, wenn bei ihrer Verrichtung eine Weisungsfreiheit vorhanden ist, die sie insgesamt als eine unternehmerische kennzeichnet, führt ebenfalls nicht zu einer grundsätzlichen Änderung der Rechtsprechung des BSG zu einem Prüfkriterium. Wann eine Tätigkeit weisungsfrei genug ist, um als unternehmerisch betrachtet zu werden, bleibt weiterhin im Einzelfall auszulegen und zu entscheiden.
Die Möglichkeit, einzelne Schüler ablehnen zu können, mag für sich genommen noch nicht ausreichen, um die Selbständigkeit eines Lehrers zu begründen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich die selbstständige Tätigkeit aus anderen Umständen der Erbringung der vertraglichen Leistungen ergibt.
Neu an der Entscheidung vom 22.06.2022 ist die Klarstellung des Bundessozialgerichts, dass die entwickelten Maßstäbe zur Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbständigkeit auch für im Rahmen der Kunstgattung „Musik“ verrichtete Tätigkeiten gelten und eine Modifikation aufgrund der durch Art. 5 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützten Kunstfreiheit nicht geboten sei.
Das BSG bestätigt auch mit der Musikschullehrer II – Entscheidung, dass ein und derselbe Beruf – je nach konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen in ihrer gelebten Praxis – entweder in Form der Beschäftigung oder als selbstständige Tätigkeit ausgeübt werden kann. Abstrakte, einzelfallüberschreitende Aussagen im Hinblick auf bestimmte Berufs- oder Tätigkeitsbilder seien daher grundsätzlich nicht – auch nicht im Sinne einer „Regel-Ausnahme-Aussage“ – möglich (BSG Urteil vom 28.06.2022, Rn. 13).
2. Rechtliche Bedeutung der geänderten Prüfpraxis der DR Bund
Bei der Besprechung des PKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs vom 04.05.2023 und der darin vorgenommenen Präzisierung ihrer Beurteilungsmaßstäbe handelt es sich um Verwaltungshandeln von Behörden. Dieses Verwaltungshandeln hat keine rechtsetzende Qualität, es ist weder ein Akt der Legislative noch der Judikative, sondern bloßes Exekutivhandeln zur Umsetzung von Gesetz und Rechtsprechung. Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger legen damit das Verwaltungshandeln nachgeordneter Behörden fest. Es handelt sich somit um Verwaltungsrichtlinien. Die Gerichte sind hieran nicht gebunden.
3. Vertrauensschutz in die Rechtsprechung höchstrichterlicher Entscheidungen
Höchstrichterliche Entscheidungen begründen grundsätzlich keinen Vertrauensschutz in die weitere Geltung der in ihr enthaltenen Rechtsprechungsgrundsätze. Das hat das BSG in seiner geänderten Rechtsprechung zur Sozialversicherungspflicht von Gesellschafter-Geschäftsführern in seinen sog. Novemberurteilen vom 11. November 2015 klargestellt. Erfolgt bei einer Betriebsprüfung keine Beanstandung, so kann diese nicht Beanstandung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht als Verwaltungsakt angesehen werden (BSG, Urteil vom 25.11.1964-3 RK 82/63). Bei einer nachträglichen Feststellung der Beitragspflicht kann sich der Zahlungspflichtige deshalb nicht auf Vertrauensschutz berufen.
Zwar hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seinem Urteil vom 20.12.2022 (AZ L 2 BA 47/20) entschieden, angesichts der Schutzwürdigkeit des Vertrauens in die bisherige langjährige höchstrichterliche Rechtsprechung zur sozialrechtlichen Statusbeurteilung bei Lehrkräften sei deren vom BSG Urteil vom 28.06.2022 intendierte Neuausrichtung für zurückliegende Zeiträume noch nicht zu berücksichtigen. In der Literatur wird demgegenüber angenommen, dass der vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen postulierte Vertrauensschutz in eine „alte“ Rechtsprechung nicht besteht, da eine Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung durch das BSG mit der Musikschule II – Entscheidung nicht erfolgt ist (Stäbler, NZS 2023, 438).
V.
Zusammenfassung
- Der Begriff der Beschäftigung in der Sozialversicherung ist gesetzlich nicht exakt definiert. Abstrakte, einzelfallüberschreitende Aussagen darüber, ob die Arbeit in bestimmten Berufs- oder Tätigkeitsbildern eine abhängige Beschäftigung darstellt, sind grundsätzlich nicht möglich.
- Der Deutsche Volkshochschul-Verband verweist in seinem Rundschreiben vom 9. Februar 2024 darauf, dass die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) bei der Prüfung des Status von Volkshochschuldozenten immer öfter die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung ankündigt, selbst wenn der Stundenumfang gering ist. Das strengere Vorgehen der DR Bund bei der Statusprüfung wird auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 2022 (BSG, Urteil vom 28. 06. 2022 – 12 R 3/20 R) zurückgeführt.
- Das Urteil vom 28. Juni 2022 ist eine Einzelfallentscheidung, die unter Berücksichtigung des Gesamtbildes der Tätigkeit einer Klavierlehrerin an einer städtischen Musikschule zu dem Ergebnis kommt, es liege eine abhängige Beschäftigung vor, weil die Indizien für eine abhängige Beschäftigung überwiegen.
- Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 2022 ergangene Urteile von Landessozialgerichten sehen in der Lehrtätigkeit von Dozenten eine selbstständige Beschäftigung. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich auch nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 22. Juni 2022 weiterhin danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.
- Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 2022 enthält keine grundsätzliche Änderung der Rechtsprechung zur Statusfeststellung von Lehrkräften. Das Bundessozialgericht hält an seiner kasuistischen Rechtsprechung fest.
- Bei einer Gestaltung der Tätigkeit von Volkshochschuldozenten, die der Lehrkraft hinreichenden Freiraum gewährt, sie nicht in verwaltungsorganisatorische Pflichten einbindet (Führen von Teilnehmerlisten, Pflicht zur Nachholung ausgefallener Unterrichtsstunden, Teilnahmepflicht an Lehrer- Konferenzen etc.) und Einflussmöglichkeiten auf die zeitliche Gestaltung der Lehrtätigkeit gewährt, kann die Tätigkeit von Volkshochschuldozenten nach wie vor als selbstständige Tätigkeit erbracht werden.
Die Coronakrise hat viele Verlierer hervorgebracht aber auch Gewinner. Eine Branche, nämlich die Beratungsbranche im Bereich Recht und Steuern, konnte sich über mangelnde neue Aufgaben und damit Einnahmemöglichkeiten nicht beklagen. Schon bei der Beantragung der sog. Soforthilfen im Jahr 2020 war der sog. „Normalbürger“ überfordert und hatte sich regelmäßig beraten lassen, auch wenn man die Anträge noch selbst hätte stellen können.
Bei den von den Bundesländern gewährten Überbrückungshilfen I-III, III + und IV war dies anders, diese konnten nur durch sog. prüfende Dritte gestellt werden. Wer prüfender Dritter sein konnte, bestimmte § 3 Steuerberatungsgesetz (StBerG). Danach konnten prüfende Dritte u.a. Steuerberater und Steuerberaterinnen, Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen sowie Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüferinnen sein. In der Praxis beherrschten Steuerberater und Wirtschaftsprüfer aber das Feld, dies i.d.R. deswegen, weil sie die wirtschaftlichen Umstände des Unternehmens aus der täglichen Beratungspraxis schon kannten. Das Hauptaugenmerk dieses Beitrages wird sich daher auf diese Berufsgruppe richten.
Bis zum 15. Juni 2022 konnten sog. Erstanträge zur Gewährung der Überbrückungshilfe gestellt werden, Änderungsanträge bis zum 30. September 2022. Die für die Verifizierung der gewährten Subventionen erforderlichen Angaben (wie Umsatzeinbrüche und Fixkosten) mussten im Rahmen der sog. Schlussabrechnung bis Ende Oktober 2023 vorgelegt werden, bei beantragter Fristverlängerung bis Ende März 2024. Wie auch bei der Antragstellung der Überbrückungshilfen I bis IV konnte bzw. kann die Schlussabrechnung nur durch einen sog. prüfenden Dritten erfolgen.
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welche zivil- und strafrechtliche Konsequenzen sich für den Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer ergeben, sollte Überbrückungshilfe durch Abgabe unrichtiger Anträge erwirkt worden sein. Es soll auch darüber nachgedacht werden, ob bei der Tätigkeit als prüfender Dritter andere haftungsrechtliche Grundsätze gelten als bei der sonstigen Tätigkeit im Bereich der Steuer- oder Wirtschaftsberatung (§ 57 Abs. 3 Ziffer 3 StBerG) und insbesondere, ob sich der Berater auf den Standpunkt zurückziehen kann, ungeprüft die Informationen des Unternehmens übernommen zu haben.
I.
Grundsätzliches zur Haftung des StB/WP
Rechtsgrundlage für Ansprüche gegen den Berater ist seit 2002 § 280 BGB, da es sich bei dem Vertrag zwischen Berater und Mandant um einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstvertragscharakter handelt (zum Ganzen Fischer, in Handbuch der Anwaltshaftung unter Einbeziehung von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, 2015, § 3). Voraussetzung ist danach der Abschluss eines Mandatsvertrages, die Verletzung einer Haupt- oder leistungsbezogenen Nebenpflicht, die der Berater zu vertreten hat und der Eintritt eines (Vermögens-)Schadens, der kausal auf der Pflichtverletzung beruht.
- Inhalt und Umfang des Auftrages
Inhalt und Umfang des zwischen Berater und Mandant geschlossenen Vertrages sind maßgeblich für die Frage, welche Pflichten der Berater bei der Durchführung des Mandates hat. Soll durch den Steuerberater lediglich steuerlich im Sinne des § 1 StBerG beraten werden, bspw. durch Abgabe der jeweiligen Steuererklärung, haftet er nicht für Schäden, die durch eine zutreffende rechtliche oder betriebswirtschaftliche Beratung vermieden worden wären (Kilian, in Graf v. Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 2022, Steuerberater, A, II, 1.). In diesem Zusammenhang werden dem Berater auch rechtliche Grenzen gesetzt. Eine rechtliche Beratung ist dem Berater untersagt, es sei denn es handelt sich lediglich um eine Nebenleistung, die zum Berufsbild des Beraters gehört (§ 5 Abs. 1 S. 1 RDG). Bei der Frage, ob der Berater möglichweise einen Schaden zu verantworten hat, der dem Mandanten entstanden ist, ist also zunächst einmal der Inhalt des Vertrages zu ermitteln, der zwischen dem Berater und seinem Mandanten geschlossen wurde.
- Sich daraus ergebende Pflichten des StB/WP
a. Verletzung von Hauptpflichten
Für jeden Vertrag, der zwischen StB oder WP und dem Mandanten geschlossen wurden, sind demzufolge die Pflichten des Beraters individuell zu ermitteln.
Geklärt ist, dass beim reinen Steuerberatermandat nach § 1 StBerG die Pflicht
- zur Sachverhaltsaufklärung,
- zur Rechtsprüfung,
- und Beratung hinsichtlich des sichersten Weges
Kardinalpflichten des Beraters sind. Bei der Wahrnehmung dieser Pflichten ist im Einzelnen zwar manches umstritten, sicher aber dürfte sein, dass der Berater gehalten ist, die tatsächlichen Voraussetzungen einer Beratung gegenüber dem Mandanten abzuklären, da er nicht davon ausgehen darf, dass der Mandant als Laie weiß, welche Informationen der Berater bei der Erledigung seines Auftrages benötigt. Die insoweit dem Berater zur Verfügung gestellten Informationen darf der Berater dann übernehmen, ohne sie im Einzelnen überprüfen zu müssen, es sei denn es drängen sich ihm Ungereimtheiten auf. Der Berater darf von der Redlichkeit des Mandanten ausgehen. Auf der Basis dieser Informationen muss der Berater die steuerlich relevanten Kenntnisse erwerben und dem Mandanten vermitteln. Für die Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Beratung hat er einzustehen. Er muss sich über die Entwicklung der Gesetzgebung wie auch der Rechtsprechung auf dem Laufenden halten und sich aus allen wesentlichen zur Verfügung stehenden Quellen informieren. Diese Kenntnisse muss er dem Mandanten gegenüber vollständig und verständlich darstellen, sowie auf den sichersten Weg hinweisen, der zu dem möglichen und i.d.R. gewünschten Ergebnis führt. Es streitet die Vermutung zu Gunsten des Mandanten, dass dieser dann, auf der Grundlage einer solchen Beratung, beratungskonform gehandelt hätte, so dass der Berater gehalten wäre, irrationales Verhalten des Mandanten zu dokumentieren (jedenfalls aus seiner und der Sicht seiner Haftpflichtversicherung).
b. Verletzung von Neben- bzw. Hinweispflichten
In letzter Zeit hat der BGH und die sich ihm anschließenden OLG die Haftung des Beraters Schritt für Schritt dadurch erweitert, dass dem Berater im Rahmen seines Mandates Nebenpflichten in Form von Hinweispflichten auferlegt wurden. Der Unterschied zum Verstoß von Hauptpflichten ist u.a., dass der Berater zwar nicht die Erbringung der zutreffenden und umfassenden Beratungsleistung schuldet, sondern den Hinweis, dass der Mandant nunmehr den Rat eines Dritten einholen sollte, um die sich stellende Frage zu klären. Für den Bereich des Insolvenzrechts hat der BGH im Jahr 2017 unter zumindest teilweiser Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass der Berater, der mit der Erstellung der Steuerbilanz beauftragt war, auch den Geschäftsführer der GmbH darauf hinweisen müsse, dass er möglicherweise die Stellung eines Insolvenzantrages prüfen müsse (BGH, Urt. V. 26.01.2017, IX ZR 285/14, so auch OLG Schleswig, NZI 2020, 539). Noch 2013 hatte derselbe 9. Senat des BGH, der sowohl für Fragen des Insolvenzrechts als auch für die Steuerberaterhaftung zuständig ist, diese Hinweispflicht abgelehnt (BGH, Urt. V. 07.03.2013 IX ZR 64/12). Hochaktuell hat sich das OLG Hamm dieser Rechtsprechung angeschlossen und die Haftung eines Steuerberaters bejaht, der mit der Lohnbuchhaltung beauftragt war und nicht auf die rechtlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Anwendung des § 7 SGB IV und der leidigen Frage, wann eine GmbH zur Abführung von Sozialabgaben für den GmbH-Geschäftsführer verpflichtet sei, hingewiesen hatte (OLG Hamm, Urt. V. 08.04.2022, 25 U 42/20).
- Zivilrechtliche Folgen aus einem Verstoß gegen die Pflichten/Umfang des Beraters
a. Gegenüber dem Auftraggeber
Verstößt der Berater gegen die oben dargestellten Pflichten, macht er sich schadensersatzpflichtig. Er haftet gegenüber dem Mandanten aus § 280 BGB für den Schaden, der dem Mandanten aus der Falschberatung entstanden ist, der damit so zu stellen ist, als hätte der Berater ihn pflichtgemäß beraten (sog. Differenzhypothese, § 249 ff BGB). Die Differenzhypothese wird ergänzt durch haftungserweiternde oder -beschränkende Umstände, wie normative Erwägungen oder Gesichtspunkte des Schutzzweckes, die aber für die vorliegende Fragestellung keine wirklich relevante Bedeutung haben.
b. Gegenüber Dritten
Es ist seit längerem anerkannt, dass den Berater unter Umständen auch Ansprüche eines Dritten treffen können, wenn seine Tätigkeit gegenüber dem Mandanten zu Schäden bei dem Dritten führt. Neben dem gesetzlich geregelten Vertrag zu Gunsten Dritter (§ 328 BGB), bei dem ein Dritter unmittelbar das Recht erwirbt, die Leistung zu fordern, hat die Rechtsprechung den Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter herausgebildet, bei dem der Anspruch auf die geschuldete Hauptleistung allein dem Gläubiger zusteht, der Dritte jedoch in der Weise in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten, aber auch Hauptleistungspflichten, einbezogen ist, dass er bei deren Verletzung vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen kann (BGH, NJW 2004, 3420 = WM 2004, 1869 [1870]).
aa. Nebenpflichten, insb. Auskunftspflichten
Der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sind, anders als i.d.R. der Rechtsanwalt (dem die Vertretung mehrerer Parteiinteressen nicht nur berufsrechtlich sondern auch strafrechtlich untersagt ist, § 356 StGB), nicht selten für mehrere Parteien tätig. Das Mandatsverhältnis kann beispielsweise sowohl für eine GbR als auch für den einzelnen Gesellschafter der GbR, möglicherweise sogar für alle Gesellschafter der GbR oder im Rahmen der gemeinsamen Veranlagung von Ehegatten bestehen. Wird der Berater in einer solchen Konstellation nur für die GbR und den geschäftsführenden Gesellschafter oder nur für einen Ehegatten vertraglich tätig, so ist es gleichwohl anerkannt, dass er den übrigen Gesellschaftern bzw. dem Ehegatten zur Auskunft verpflichtet ist.
bb. Schadensersatz
Neben dem Anspruch auf Auskunft haftet der Berater auch für die Schäden der übrigen Gesellschafter, die aus einer fehlerhaften Auskunft resultieren. Diese Konstellation ist bei sog. Fondsanlagen anzutreffen, bei denen der Wirtschaftsprüfer die Aufgabe der Kontrolle der Mittelverwendung übernommen hat, bei Ehegatten, bei denen der Berater vertragliche Gestaltungen anstößt oder eben bei der Beratung einer Kapitalgesellschaft (konkret einer GmbH), bei der auch der Gesellschafter/Geschäftsführer in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen ist. Hier ist der Berater zur Auskunft und Information des Dritten verpflichtet, für den er die Kontrolle im Falle der Fondskontrolle oder die Beratung im Falle der drohenden Insolvenz einer GmbH i.E. auch übernommen hat (BGH, Urt. v. 09.11.2017, III ZR 610/16; Urt. v. 14.06.12, IX ZR 145/11).
- Strafrechtliche Folgen aus einem Verstoß gegen die Pflichten des Beraters
Alle wesentlichen in Betracht kommenden Straftatbestände jenseits des Steuerstrafrechts werden gemeinhin dem sog. Wirtschaftsstrafrecht zugerechnet (Fischer, StGB, 2021, § 27 Rn 19 c). Sie zeichnen sich häufig dadurch aus, dass diese Delikte nicht von jedermann täterschaftlich begangen werden können, sondern besondere Anforderungen an denjenigen stellen, der als Adressat des Delikts die Tat begehen kann (sog. Sonderdelikte).
Bei der Insolvenzverschleppung (§ 15 a Abs. 4 InsO „Mitglieder des Vertretungsorgans“) oder dem Vorenthalten von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB: „Arbeitgeber“) wird dies schon aus dem Wortlaut ersichtlich. Bei der Untreue (§ 266 StGB: der Vermögensbetreuungspflichtige“) ist dies schon subtiler. Jedenfalls kann der Berater bei diesen Delikten nicht Täter sein, sondern allenfalls Anstifter oder Gehilfe. Selten wird die Initialzündung (im Sinne einer Anstiftung nach § 26 StGB) für die Begehung einer Straftat vom Berater ausgehen, der in der Regel davon nichts hat. Zumeist wird er bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände durch fördernde Handlungen nach außen auftreten und sich damit der Gefahr aussetzen, als Gehilfe der Straftat belangt zu werden (§ 27 StGB).
Beispiele sind
- die Förderung der Insolvenzverschleppung durch den Geschäftsführer einer GmbH durch Verhandlungen des Beraters beim Abschluss von Stundungsvereinbarungen mit Gläubigern, strafbar nach §§ 15a Abs. 4 InsO, 27 StGB;
- beim Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt durch die Erstellung von Entgeltabrechnungen in Kenntnis der Unwilligkeit des Geschäftsführers diese auch abzuführen, strafbar nach §§ 266a, 27 StGB;
- bei Bankrotthandlungen des Schuldners durch eine unzutreffende Bewertung von Sachwerten der Schuldnerin, die an ein Unternehmen des dem Schuldner wirtschaftlich oder persönlich nahestehenden Dritten veräußert werden sollen, strafbar nach §§ 283, 27 StGB.
Die Aufstellung könnte beliebig verlängert werden, immer liegt eine strafbare Beihilfehandlung nahe, gebetsmühlenartig wird die Beihilfe wie folgt subsumiert: Strafbare Beihilfe ist die vorsätzliche Hilfeleistung zu einer vorsätzlich begangenen Straftat eines anderen (§ 27 Abs. 1 StGB). Als Hilfeleistung im Sinne des § 27 StGB ist dabei grundsätzlich jede Handlung anzusehen, welche die Herbeiführung des Taterfolgs des Haupttäters objektiv fördert, ohne dass sie für den Erfolg selbst ursächlich sein muss (st. Rspr.; vgl. nur BGH Urt. v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 109 mwN). Die Hilfeleistung muss auch nicht zur Ausführung der Tat selbst geleistet werden, es genügt schon die Unterstützung bei einer vorbereitenden Handlung (BGH Urt. v. 8.3.2001 – 4 StR 453/00, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 22 mwN). Das kann grundsätzlich auch durch äußerlich neutrale Handlungen geschehen (BGH Urt. v. 23.1.1985 – 3 StR 515/84, HFR 1985, 429). Gehilfenvorsatz liegt vor, wenn der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennt und in dem Bewusstsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern; Einzelheiten der Haupttat braucht er nicht zu kennen. Ob der Gehilfe den Erfolg der Haupttat wünscht oder ihn lieber vermeiden würde, ist nicht entscheidend. Es reicht, dass die Hilfe an sich geeignet ist, die fremde Haupttat zu fördern oder zu erleichtern, und der Hilfeleistende dies weiß (BGH aaO, BGHSt 46, 107, 109 mwN).
Diese, für jedes strafbare Beihilfeverhalten geltenden Grundsätze wurden seit Mitte der 90er Jahre kritisch hinterfragt (u.a. Hassemer, wistra 1995, 41). Bei äußerlich neutralen Tätigkeiten, die keinen unmittelbaren Sinn-Zusammenhang zur Straftat des Mandanten aufwiesen wurde – vereinfacht beschrieben – geltend gemacht, dass berufstypisches Verhalten nicht per se strafbar sein könne. Es sei für den Berater in der Regel nicht erkennbar, ob der Mandant die berufliche Zuarbeit des Beraters zu einer Straftat nutzen würde oder nicht.
Der BGH hat hierzu, im Anschluss an unterschiedliche Ansätze in der Literatur, eine subjektive Lösung entwickelt und folgende Grundsätze entwickelt und immer wieder angewendet:
Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten. In diesem Fall verliert sein Tun stets den „Alltagscharakter“; es ist als „Solidarisierung“ mit dem Täter zu deuten und dann auch nicht mehr als sozialadäquat anzusehen. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein ließ (BGH Urt. v. 22.1.2014 – 5 StR 468/12, wistra 2014, 176; und v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 112 ff.; Beschl. v. 20.9.1999 – 5 StR 729/98, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 20). Das „billigende Inkaufnehmen“ des Taterfolges wird durch „das angelegen sein lassen“ der Förderung des erkennbar tatgeneigten Täters ersetzt.
Ob der Ansatz zu anderen Ergebnissen führt, als wendete man die allgemeinen Beihilfegrundsätze an, wird zum Teil bezweifelt, zum Teil wird der erkennbare Wille zur Privilegierung bestimmter Berufsgruppen nicht anerkannt (kritisch zum Ganzen Fischer, StGB, 2021, § 27, 19 c, der, vielleicht nicht zu Unrecht keine Veranlassung sieht, bestimmte Berufsgruppen, wie Bankangestellte oder Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte zu privilegieren). Immerhin wurde in einer recht aktuellen Entscheidung des 1. Senates ein Urteil des LG Rostock aufgehoben, in dem ein Steuerberater wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung bei einem Umsatzsteuerkarussell verurteilt worden war, obschon der Steuerberater vor der Tat aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses von den Umständen der Haupttat hätte wissen müssen, jedenfalls aber erkennen können, dass das „Geschäftsmodell“ der Geschäftsführer der betreffenden GmbH nicht legal war (BGH, Beschl. V. 17.06.2021, 1 StR 132/21).
II.
Zivilrechtliche Haftung des StB/WP bei der Beantragung von Corona-Hilfen (ins. Überbrückungshilfen I-IV)
- Inhalt/Umfang des Auftrages
Der Inhalt des Auftrages zwischen Subventionsempfänger und Berater ist die Stellung des Subventionsantrages zur Gewährung der Subvention, wobei der Berater dafür Sorge zu tragen hat, dass die Subvention in voller Höhe gewährt wird. Damit befindet sich der Berater im Bereich der betriebswirtschaftlichen Beratung, für die er im Übrigen auch haftpflichtversichert ist. Es gelten insoweit die unter I. 1. dargestellten Grundsätze.
- Sich daraus ergebende Pflichten des StB/WP
Die Pflicht des Beraters ist zunächst die umfassende Aufklärung des Sachverhaltes, also die Ermittlung der Umstände, die zu einer zutreffenden Antragstellung führen. Bei der Frage, welche Tatsachen bzw. welcher Sachverhalt aufzuklären ist, „helfen“ die jeweils gültigen FAQs. Regelmäßig werden dort die Angaben dargestellt, die für eine erfolgreiche Antragstellung erforderlich sind (Umsatzeinbruch des Antragszeitraums im Verhältnis zum Referenzzeitraum des Vorjahres, Fixkosten als förderfähige Größe etc). Diese Informationen hat der Berater zusammenzustellen und auf ihre Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Bei dieser Schlüssigkeitsprüfung kann und darf sich der Berater nicht auf die Angaben des Mandanten verlassen, er muss die in den FAQs genannten Unterlagen (Umsatzsteuervoranmeldungen, Jahresabschlüsse, Steuererklärungen und Steuerbescheide, Aufstellung der Fixkosten für den Antragszeitraum und den Referenzzeitraum), beiziehen und verwerten.
Im Weiteren ist es Pflicht des Beraters, den Antrag fristgerecht und vollständig zu stellen und eventuell auftretende Nachfragen der Subventionsstelle zu beantworten, so dass die formellen Voraussetzung des Überbrückungshilfeantrages erfüllt sind. Inwieweit es noch zum Aufgabenkreis des Steuerberaters/Wirtschaftsprüfers gehört, das sich, nach Ablehnung des Subventionsantrages, anschließende Widerspruchsverfahren zu führen, ist streitig. Der Berater, der nicht zur Rechtsberatung befähigt ist, ist jedenfalls gut beraten, dass Widerspruchsverfahren durch einen Rechtsanwalt führen zu lassen, nicht zuletzt deswegen, weil er für Fehler im Bereich der Rechtsberatung nicht haftpflichtversichert ist.
- Zivilrechtliche Folgen aus einem Verstoß gegen die Pflichten/Umfang des SE
a. Gegenüber dem Auftraggeber
aa. Verletzt der Berater seine Pflichten, so haftet er aus § 280 BGB.
Haftungserweiternde oder -beschränkende Umstände, wie normative Erwägungen oder Gesichtspunkte des Schutzzweckes der haftungsbegründenden Norm spielen für die Schadensfrage bei Überbrückungshilfen kaum eine Rolle. Begeht der Berater bei der Antragstellung der Überbrückungshilfe einen Fehler, der dazu führt, dass die Subvention nicht gewährt wird, obschon die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen, so haftet er in Höhe der nicht gewährten Subvention, da Schutzzweck des § 280 BGB die vermögensrechtlichen Interessen des Unternehmens sind und Subventionen, wie die Überbrückungshilfe, unzweifelhaft ein vermögensrechtlichen Anspruch darstellen. Auch der Einwand, die Gewährung einer Subvention stelle ein Ermessensentscheidung dar, auf die kein Anspruch bestünde, so dass bei richtiger Beratung nicht feststehe, dass die Subvention auch tatsächlich gewährt worden wäre, greift bei den Überbrückungshilfen m.E. nicht durch. Die Überbrückungshilfen sind zwar grundsätzlich freiwillige staatliche Leistungen, auf deren Erbringung kein direkter Anspruch besteht; dies wird durch die jeweiligen Vollzugshinweise klargestellt. Entscheidet sich der Staat jedoch freiwillig zur Gewährung von Leistungen, so muss die Verteilung nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgen. Mithin besteht ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung der jeweiligen Überbrückungshilfe (Aschke in: BeckOK VwVfG, Stand 01.07.2022, § 40 Rn. 76). Dieser Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung verdichtet sich zu einem direkten Anspruch auf die Gewährung der Überbrückungshilfe, da das behördliche Ermessen wegen einer Selbstbindung der Verwaltung unter Berücksichtigung des Art. 3 Abs. 1 GG auf Null reduziert ist. Zur Beurteilung einer solchen Selbstbindung der Verwaltung ist auf die tatsächlich geübte Verwaltungspraxis abzustellen, welche durch einschlägige öffentliche Verlautbarungen bestimmt werden kann (VG Halle, Urteil vom 25.04.2022 – 4 A 28/22 HAL, BeckRS 2022, 9223, Rn. 17). Hält sich die Behörde etwa an einschlägige Vollzugshinweise, so ist sie an deren Einhaltung gem. Art. 3 Abs. 1 GG gebunden, sofern nicht sachliche Gründe im Einzelfall eine Abweichung rechtfertigen (BVerwG, Urteil vom 25.04.2012 – 8 C 18/11 – NVwZ 2012, 1262, 1265). Im Rahmen der massenhaften Gewährung von Corona-Überbrückungshilfen orientieren sich die jeweiligen Subventionsstellen als entscheidende Behörde an den Vollzugshinweisen und den zugehörigen FAQs. Eine entsprechende Selbstbindung der Verwaltung liegt vor.
bb. Dieser Haftung kann der Berater allerdings noch entgehen, wenn er Fehler bei der Antragstellung im Rahmen der Schlussabrechnung korrigiert und so eine Nachzahlung veranlasst, die – außer bei der Überbrückungshilfe I – in allen Fällen möglich ist.
b. Gegenüber Dritten
Ansprüche Dritter kommen hier naturgemäß hauptsächlich für den Subventionsgeber in Betracht, wenn dieser zu Unrecht Überbrückungshilfe gewährt hat. Nebenpflichten, wie Auskunftspflichten spielen schon deswegen nur eine untergeordnete Rolle, weil im Rahmen des Vergabeverfahrens der Berater im Rahmen der Rückfragen umfangreich Auskunft zu den Unternehmensdaten erteilen muss.
Schadensersatz schuldet der Berater dem Subventionsgeber, wenn er gegen die oben dargestellten Pflichten zur Aufklärung aller subventionserheblichen Umstände verstößt. Durch die Einführung des „prüfenden Dritten“ hat der Subventionsgeber nicht nur einen Weg gefunden, das Antragsverfahren durch die Einschaltung von fachkundigen und seriösen Beratern zu vereinfachen. Er hat auch einen Haftungsgegner etabliert, dem in den FAQs ein Pflichtenprogramm aufgegeben wird, welches ersichtlich dem Schutz des Subventionsgeber dienen soll. Dadurch wird der Subventionsgeber in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einbezogen, die zwischen Berater und Mandant bestehen (hierzu I. 3. b). Aufgrund dieses Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter haftet der Berater gegenüber dem Subventionsgeber allerdings nur dann, wenn die Subvention des Subventionsgebers endgültig verloren ist, dies dürfte erst dann der Fall sein, wenn im Rahmen der sog. Schlussabrechnung ursprünglich fehlerhafte Anträge nicht korrigiert werden.
Dabei stellt sich die Frage, ob im Falle einer bereits gewährten, also ausgezahlten Überbrückungshilfe der Berater dann aus § 280 BGB zur Rückzahlung verpflichtet ist, wenn der Subventionsempfänger insolvent ist. Dies dürfte abzulehnen sein, liegt doch der Schutzzweck der Norm (hierzu Ernst, in Münchner Kommentar, 2022, § 280 RN 72) nicht darin, für die Bonität einzustehen, sondern in der Möglichkeit, aufgrund einer vom Berater vorzunehmenden Schlüssigkeitsprüfung die Antragsvoraussetzungen zu prüfen. (Etwas anderes dürfte allerdings dann gegeben sein, wenn der Berater bewusst oder leichtfertig den Subventionsgeber über die Antragsvoraassetzungen täuscht, hierzu unten).
c. Strafrechtliche Folgen aus einem Verstoß gegen die Pflichten, § 264 StGB
aa. Allgemeines
Der 6. Senat des BGH hat zwischenzeitlich klargestellt, dass es sich auch bei den Corona-Hilfen um Subventionen im Sinne des § 264 Abs. 8 S. 1 handelt, über die der Antragsteller nach § 264 Abs. 1 S. 1 falsche Angaben gemacht hat und die vom Subventionsgeber als subventionserhebliche Tatsache hinreichend konkret bezeichnet wurde (§ 264 Abs. 9 Nr. 1 Variante 2 StGB). Danach habe sich der Antragsteller bei der Beantragung der Soforthilfen nach § 264 StGB strafbar gemacht (BGH, Beschl. vom 04.05.2021, 6 StR 137/21).
Diese Rechtsprechung dürfte auch für die Überbrückungshilfen I – IV Anwendung finden, auch dort wurde jeweils hinreichend deutlich auf die Folgen einer falschen Antragstellung hingewiesen. So lautet es bspw. in den Vollzugshinweisen zur Überbrückungshilfe IV, Punkt 12:
„Die Angaben im Antrag sind – soweit für die Bewilligung, Gewährung, Rückforderung und Weitergewährung oder das Belassen der Hilfen von Bedeutung – subventionserheblich i. S. d. § 264 des Strafgesetzbuches i. V. m. § 2 des Subventionsgesetzes vom 29. Juli 1976 (BGBI I S. 2037) und Art. xxx des Landessubventionsgesetzes (xxx Fundstelle). Die subventionserheblichen Tatsachen sind vor der Bewilligung einzeln und konkret zu benennen und eine Erklärung über die Kenntnis dieser Tatsachen zu verlangen. Bei vorsätzlichen oder leichtfertigen Falschangaben müssen die Antragstellenden und/oder die Steuerberater/innen, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer/innen, vereidigte Buchprüfer/innen oder Rechtsanwälte/-anwältinnen mit Strafverfolgung wegen Subventionsbetrugs rechnen.“
Tauglicher Täter einer Tat nach § 264 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist daher nicht nur der Antragsteller selbst sondern auch der prüfende Dritte, also der Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt.
- 264 StGB wartet auch sonst noch mit mancherlei Überraschungen auf. So verlangt die Norm nur sehr wenig: Weder muss auf Seite des Subventionsgebers ein Irrtum über die Voraussetzungen der Subventionsgewährung erregt werden, geschweige denn die Verwirklichung eines wie auch immer gearteten Schadens. Da es sich insoweit um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, genügt die fehlerhafte Antragstellung, um sich strafbar zu machen. Die Tat ist vollendet, wenn der Antrag im Rahmen des Subventionsverfahrens bei der bewilligenden Stelle eingeht. Damit ist gleichzeitig auch eine Vorverlagerung der Tatbestandsverwirklichung gegeben, vergleicht man die Norm mit § 263 StGB.
Auch muss der Antragsteller nicht vorsätzlich handeln, es genügt, wenn er die falschen Angaben leichtfertig macht, also grob fahrlässig handelt (Ceffinato, in Münchner Kommentar, 2022, § 264, RN 121). In dieser Erweiterung der Strafbarkeit liegt letzten Endes auch das Besondere der Vorschrift. In nur ganz wenigen Fällen des strafrechtlichen Vermögensschutzes findet eine Pönalisierung jenseits vorsätzlichen Handelns statt (so sind die Kerntatbestände des StGB, also § 263 StGB und § 266 StGB nur als Vorsatztaten strafbar).
bb. Konkrete Anwendung des § 264 StGB auf die Überbrückungshilfe-Fälle
Die Haftung des Beraters bei Anträgen auf Überbrückungshilfe unterscheidet sich also ganz wesentlich von den sonst typischen Fällen strafrechtlichen Handelns, wie bsp. bei der Beihilfe zur Steuerhinterziehung, der Beihilfe zur Insolvenzverschleppung oder der Beihilfe zur Untreue etc.
Anders als in diesen Fällen ist der Berater nicht nur Gehilfe der Tat, sondern Haupttäter. Die Privilegierung bei sog. berufstypischen, neutralen Tätigkeiten kommen ihm nicht zu Gute. Es muss ihm auch nicht Vorsatz zur Unterstützung einer vorsätzlich begangenen Haupttat nachgewiesen werden.
Er haftet auch nicht nur in Fällen vorsätzlichen Handelns, § 264 Abs. 5 StGB erweitert die Haftung in den Fällen des Abs. 1 Ziffer 1 bis Ziffer 3 auch auf Fälle der Leichtfertigkeit. Leichtfertigkeit wird von der Rechtsprechung zwar an der Grenze zum Vorsatz angesiedelt und setzt eine besondere Gleichgültigkeit oder grobe Unachtsamkeit voraus (BGH, Urteil v. 29.10.2009, 4StR 97/09), doch wird man leichtfertiges Handeln, in Abgrenzung zu der nicht leichtfertig verwirklichbaren Tatvariante des Abs. 1 Ziffer 4, immer dann annehmen müssen, wenn der Berater es unterlässt, die zur Prüfung erforderlichen Unterlagen auch beizuziehen und sorgfältig zu prüfen. Bei der Prüfung der Leichtfertigkeit legt der BGH die individuellen Fähigkeiten des Täters zugrunde, dies kommt im Zweifelsfall dem juristisch nicht bewanderten Geschäftsführer zugute (so im Fall des BGH, Urt. v. 20.03.2013, 5 StR 344/12), hilft aber dem Berater als prüfendem Dritten gerade nicht – im Gegenteil. Ziel des Subventionsgebers bei der Hinzuziehung der entsprechenden Berufsgruppen war es gerade, die entsprechende Kompetenz des Beraters zu nutzen, um Missbrauchsfällen vorzubeugen. Auch aus den Versicherungen, die der Berater im Rahmen der Antragsstellung regelmäßig abzugeben hatte, ergibt sich diese gesteigerte Prüfpflicht.
Damit kann sich der Berater auch nicht dadurch exkulpieren, dass er den Angaben des Mandanten, der übrigens selbst Mittäter ist, vertraut, ihm kommt eine eigene Prüfpflicht zu.
Zu diesen Risiken dürfte auch hinzukommen, dass gerade bei der verwaltungsrechtlichen Rückforderung zu Unrecht gewährter Hilfen aber auch der strafrechtlichen Ahndung, sowohl der Subventionsgeber als auch die Staatsanwaltschaften, voraussichtlich wenig Nachsicht werden walten lassen. Das Verständnis gegenüber Abkassierern, die sich auf dem Rücken der Krise schadlos halten, dürfte sehr überschaubar sein.
cc. Deliktische Haftung nach §§ 823 Abs. 1 und 2 BGB, in Verbindung mit § 264 StGB
Eine weitere „strafrechtliche Folge“ ist die verschärfte Haftung des §§ 823 Abs. 1 und 2 BGB
i.V.m. § 264 StGB. § 264 StGB ist Schutznorm im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Für den Berater bedeutet dies, dass er im Falle eines nur leichtfertigen Subventionsbetruges auch deliktisch für die Rückerstattung der Beträge haftet. In diesem Falle dürfte es auf der Hand liegen, dass auch die Vermögensschadenshaftpflichtversicherung die Deckung verweigern wird. Der Berater und gegebenenfalls auch seine Sozien haften dann mit ihrem Privatvermögen.
Fazit:
Der Hinweis des Subventionsgebers, der Berater hafte nur nach den Regeln seines Berufsrechts ist trügerisch. Durch das umfassende Prüfprogramm und die Weite des deliktischen Tatbestandes besteht ein wenig bekanntes und dadurch noch gefährlicheres Haftungspotential.
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