Die Dritthaftung für Schäden aus fehlerhafter sozialversicherungsrechtlicher Statusbeurteilung erreicht auch die Notare. Während schon mehrere Oberlandesgerichte und zuletzt der Bundesgerichtshof Regressansprüche im Zusammenhang mit der unzutreffenden Einordnung von Gesellschafter-Geschäftsführern als Selbstständige gegen Steuerberater zuerkannt haben, werden nun auch Notare von Geschädigten Gesellschaften ins Visier genommen. Am 16.02.2024 hatte das Landgericht Bremen (Urteil vom 16.2.2024 – 4 O 124/23) über die Schadensersatzklage einer GmbH gegen den Notar zu entscheiden, der Anteilsübertragungsverträge beurkundet hatte, mit denen Geschäftsanteile auf einen Neugesellschafter übertragen wurden. Dadurch änderten sich die Beteiligungsverhältnisse, was der Gesellschaft sozialversicherungsrechtlich zum Verhängnis wurde.

Worum ging es?

Die Parteien stritten um die Feststellung eines Schadensersatzanspruchs aus Notarhaftung. Die Klägerin war ein Familienunternehmen in Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), deren drei Geschäftsführer auch die alleinigen Gesellschafter waren: A und B hielten jeweils 40 % der Geschäftsanteile, ihr Sohn C hielt die verbleibenden 20 %. Im Jahr 2002 waren A und B noch die alleinigen Gesellschafter sowie Geschäftsführer der Klägerin und hielten jeweils 50 % der Geschäftsanteile. Beide Gesellschafter übertrugen jeweils 10 % ihrer Anteile auf ihren Sohn C, der danach mit 20 % an der GmbH beteiligt war. Die Anteilsübertragung ließen sie von dem beklagten Notar am 21.08.2002 beurkunden. Am 09.05.2006 wurde C per Gesellschafterbeschluss zum weiteren Geschäftsführer der Klägerin bestellt. Im Jahr 2019 kam es bei der Klägerin zu einer Betriebsprüfung. Die Deutsche Rentenversicherung erließ daraufhin am 11.10.2019 einen Bescheid über eine Beitragsnachforderung gegen die Klägerin in Höhe von EUR 159.567,24 EUR Die Nachforderung wurde in dem Bescheid damit begründet, dass A und B seit dem 1.5.2006 als Gesellschafter-Geschäftsführer in eine abhängige Beschäftigung mit entsprechender Sozialversicherungspflicht einzuordnen seien. Die klagende GmbH verlangt Schadensersatz in Höhe der Beitragsnachforderung weil der Notar über die Möglichkeit eines sozialversicherungsrechtlichen Statuswechsels bei der Beurkundung der Anteilsübertragung habe aufklären müssen. Bei entsprechender Belehrung durch den Notar hätten die Gesellschafter A und B ihre Geschäftsanteile nicht auf ihren Sohn C übertragen.

Wie hat das Landgericht Bremen entschieden?

Das Landgericht kam zu dem Ergebnis, dass der GmbH kein Schadensersatzanspruch gegen den Notar zusteht. Es fehle an einer Pflichtverletzung des Notars. Ein Notar sei gem. § 17 Absatz I 1 BeurkG verpflichtet, die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäfts zu belehren. Die Belehrung über die rechtliche Tragweite bestehe dabei in der Belehrung, ob und unter welchen Voraussetzungen der erstrebte rechtliche Erfolg eintritt und welche unmittelbaren Rechtswirkungen sich an diesen Die Belehrungspflicht gelte aber nicht unbeschränkt. So besteht keine Belehrungspflicht bezüglich der wirtschaftlichen Tragweite des Rechtsgeschäfts und ihrer steuerrechtlichen Folgen. Nach herrschender Meinung seien auch die sozial-(versicherungs-)rechtlichen Folgen von der Belehrungspflicht nicht umfasst. Der Notar schuldet deshalb entgegen der Ansicht der Klägerin bei der Beurkundung der Geschäftsanteilsübertragung keine Belehrung über die Möglichkeit eines sozialversicherungsrechtlichen Statuswechsels der übertragenden Gesellschafter. Die unmittelbaren Rechtswirkungen des Geschäfts beschränkten sich vielmehr auf das Eigentum an den Geschäftsanteilen und die gesellschaftsrechtlichen Folgen für die Gesellschafter. Für die dem Sozialversicherungsrecht fachlich näheren Steuerberater statuiere die obergerichtliche Rechtsprechung keine Pflicht zu einer umfassenden sozialversicherungsrechtlichen Beratung, sondern verlange „nur“ ein Problembewusstsein in einigen Spezialbereichen, zum Beispiel bezüglich der sozialversicherungsrechtlichen Stellung von Gesellschafter-Geschäftsführern und in diesem Zusammenhang eine Kenntnis des grundsätzlichen Abgrenzungsmaßstabs des. Für einen Notar könne mit Blick auf seinen Kompetenzbereich ein solches Problembewusstsein und eine damit verbundene (Neben-)Pflicht nicht verlangt werden.

Praktische Bedeutung

Jahrzehntelang war es für Mitarbeiter im eigenen Unternehmen gang und gäbe: Gesellschaf-ter-Geschäftsführer und Arbeitnehmer-Gesellschafter sorgten selbst für ihre soziale Absicherung, sei es durch Lebensversicherungen, private Krankenversicherung oder Vermögensrücklagen. Auch wer nur eine geringe Minderheitsbeteiligung am Familienunternehmen hielt oder gar nicht beteiligt war und nur als Fremdgeschäftsführer im elterlichen Unternehmen arbeitete, blieb beitragsrechtlich verschont. „Familienhafte Rücksichtnahme“ der Gesellschafter oder sich als „Know-how-Träger“ oder „Kopf und Seele“ des Betriebs zu verstehen, reichte aus, um selbstständig im sozialversicherungsrechtlichen Sinn zu sein. Damit hat das Bundessozialgericht am 11. November 2015 Schluss gemacht. Nach den „Novemberurteilen“ werden Gesellschafter-Geschäftsführer vom Bundessozialgericht nur noch als selbstständig anerkannt, wenn sie mit mindestens 50 % an ihrer Gesellschaft beteiligt sind. Neuerdings ist das Bundessozialgericht dazu übergegangen, auch eine solche „Verhinderungsmacht“ oben nicht mehr ausreichen zu lassen. In seinem Urteil vom 01.02.2022 (BSG, Urteil vom 1.2.2022 – B 12 KR 37/19 R) weist das Gericht darauf hin, dass es bisher entschieden habe, ein selbstständiger Gesellschafter-Geschäftsführer müsse „zumindest“ ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können. Mit dieser Formulierung sei die erforderliche Rechtsmacht aber weder auf die ablehnende Haltung des Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers nur gegenüber Weisungsbeschlüssen der Gesellschafterversammlung reduziert noch auf dessen gewöhnliche Geschäftsführung eingeengt worden. Damit sagt das BSG zwar noch nicht klar und eindeutig, dass es für eine unabhängige Tätigkeit im eigenen Unternehmen nicht mehr ausreicht, mit einer 50 % Beteiligung oder einer Sperrminorität unliebsame Entscheidungen der Gesellschafterversammlung verhindern zu können. Es deutet aber sehr deutlich an, dass es für den Status als sozialversicherungsfreier Selbstständiger nun der rechtlichen Möglichkeit bedarf, das Unternehmen durch die Herbeiführung von Entscheidungen in der Gesellschafterversammlung aktiv steuern zu können und das bloße Verhindern der Steuerung durch andere Gesellschafter nicht mehr ausreicht. Kommt es zu Beitragsnachforderungen, stellt sich für Betroffene Gesellschaften und Gesellschafter seither immer öfter die Frage nach einem Rettungsanker. Diesen haben Betroffene in der Dritthaftung von Steuerberatern gefunden (BGH, Urteil vom 8.2.2024 – IX ZR 137/22). Nun erfasst die Welle der Dritthaftung Klagen auch die Notare. Vor dem Landgericht Bremen hatte die klagende Gesellschaft – noch – keinen Erfolg. Die Entwicklung der Rechtsprechung hierzu bleibt abzuwarten.