BAG, Urteil vom 27.5.20205 AZR 387/19

Mit einem richtungsweisenden Urteil hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt (BAG) die Risikoverteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem Kündigungsschutzprozess nachhaltig neu geregelt. Die bisherige Risikoverteilung hatte in jedem Kündigungsschutzverfahren einen maßgeblichen Einfluss auf die Vergleichsbereitschaft des Arbeitgebers und auf die Höhe einer etwaigen Abfindung in einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich. Findet der Arbeitnehmer nämlich nach einer Kündigung keinen neuen Arbeitsplatz, steht ihm für den Fall, dass sich die Kündigung am Ende des Verfahrens als rechtswidrig erweisen sollte, ein Annahmeverzugslohnanspruch nach § 615 BGB gegen den Arbeitgeber zu. Dies erhöhte den Vergleichsdruck auf den Arbeitgeber – insbesondere bei langen Verfahrensdauern über zwei oder drei Instanzen – ganz erheblich. Zwar musste sich der Arbeitnehmer auf seinen Verzugslohn auch bisher schon dasjenige anrechnen lassen, was er zu erwerben böswillig unterlassen hatte. Allerdings war dieser Nachweis dem Arbeitgeber bislang nahezu unmöglich. Dies könnte sich nun grundlegend geändert haben.

Der Fall

Der klagende Arbeitnehmer war bei seinem Arbeitgeber seit Juni 1996 als Bauhandwerker beschäftigt. Der Arbeitgeber sprach gegenüber dem Kläger seit dem Jahr 2011 mehrere Kündigungen aus, u.a. auch kündigte er mit Schreiben vom 30.1.2013 das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich. Diese Kündigung wurde vom Kläger erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen, sodass das Arbeitsverhältnis nach wie vor besteht. Da der Arbeitgeber seit Ausspruch der Kündigung vom 30.01.2013 keine Vergütung mehr an den Kläger zahlte, erhob dieser nun eine Verzugslohnklage für die Zeit ab Februar 2013 unter Anrechnung bezogenen Arbeitslosengeldes und Arbeitslosengeldes II.

Der Arbeitgeber erhob dagegen den Einwand, dass der Kläger es böswillig unterlassen habe, anderweitig Verdienst zu erzielen. Außerdem begehrte der Arbeitgeber mit Widerklage vom Kläger Auskunft über die ihm von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter in der fraglichen Zeit unterbreiteten Stellenangebote Dritter unter Nennung der Tätigkeit, der Arbeitszeit und des Arbeitsortes sowie der Vergütung in Euro.

Das ArbG Erfurt hatte der Widerklage des Arbeitgebers stattgeben. Auch das LAG Thüringen folgte dieser Ansicht und wies die Berufung des Arbeitnehmers zurück.

 

Die Entscheidung des BAG

Das BAG hat die Revision des Klägers gegen das Urteil des LAG Thüringen zurückgewiesen und einen entsprechenden Auskunftsanspruch des Arbeitgebers somit erstmals höchstrichterlich anerkannt.

Das BAG begründete sein Urteil damit, dass allgemein anerkannt sei, dass in Sonderrechtsbeziehungen nach Treu und Glauben Auskunftsansprüche bestehen können, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den bestehenden Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann, ohne dass durch die Gewährung materiell-rechtlicher Auskunftsansprüche die Darlegungs- und Beweissituation im Prozess unzulässig verändert werden darf.

Zwischen Arbeitsvertragsparteien bestehe grundsätzlich eine für den Auskunftsanspruch erforderliche Sonderrechtsbeziehung. Der Arbeitgeber werde durch eine Verzugslohnklage auch in seinen vertraglichen Rechten betroffen, weil die Anrechnung anderweitig erzielten oder böswillig unterlassenen Verdienstes ipso iure erfolgt. Wenn sich der Arbeitnehmer nach der Kündigung bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet, sei diese verpflichtet, Arbeitsvermittlung anzubieten. Entsprechendes gelte für das Jobcenter. Sofern keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass diese Behörden ihren gesetzlichen Aufgaben nicht nachgekommen sind, ist davon auszugehen, dass solche Vermittlungsversuche auch tatsächlich unternommen worden sind. Da der Arbeitgeber schließlich auch auf entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang der Vermittlungsangebote im Ungewissen ist, sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare rechtmäßige Weise beschaffen kann und der Arbeitnehmer die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann, habe der Arbeitgeber einen entsprechenden Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer.

Folgen für die Praxis

Anders als die bisherige Rechtsprechung geht das BAG nunmehr davon aus, dass der Arbeitnehmer auch aufgrund der Regelung des § 2 Abs. 5 SGB III zur aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung von Arbeitslosigkeit angehalten und verpflichtet ist. Ihm ist deshalb auch arbeitsrechtlich das zuzumuten, was ihm das Gesetz ohnehin abverlangt.

Arbeitgebern ist in Kündigungsschutzverfahren zukünftig also zu raten, das Annahmeverzugslohnrisiko dadurch zu minimieren, indem vom Arbeitnehmer Auskunft über die Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit verlangt wird. Kommt der Arbeitnehmer dem Auskunftsverlangen nicht nach, kann der Auskunftsanspruch bspw. widerklagend in einem Kündigungsschutz- oder einem Verzugslohnprozess geltend
gemacht werden. Darüber hinaus ist Arbeitgebern dringend zu raten, einem ehemaligen Arbeitnehmer selbst Stellenangebote Dritter zu übermitteln.

Arbeitnehmer sollten dagegen ihre Bemühungen für einen neuen Arbeitsplatz im Sinne dieser neuen Rechtsprechung hinreichend zu dokumentieren, um dieses Bemühen jederzeit darlegen und beweisen zu können.

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