OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 10.11.2022 – 6 U 104/22

Werbende Angaben zu Nachhaltigkeit und Klimaneutralität haben heutzutage erheblichen Einfluss auf das Marktverhalten potentieller Abnehmer und werden mit zunehmendem Interesse zur Kenntnis genommen. Aus diesem Grund werben immer mehr Unternehmen mit dem Versprechen der Klimaneutralität. Im wettbewerbsrechtlichen Kontext gilt es zu beachten, dass Informationen, denen erhebliches Gewicht für die geschäftliche Entscheidung zukommt und deren Mitteilung auch vom Kunden erwartet werden darf, diesem nicht vorenthalten werden dürfen. Wird der Kunde über wesentliche Umstände nicht aufgeklärt, birgt dies die Gefahr wettbewerbsrechtlicher Abmahnungen durch Mitbewerber und Interessenverbände.

Rechtsanwalt Jonas M. Burbach

Autor: Jonas M. Burbach
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Das nachfolgend besprochene Urteil des OLG Frankfurt a.M. reiht sich in eine Vielzahl von Entscheidungen ein (OLG Koblenz – Klimaneutrale Grablichter; LG Düsseldorf  – Klimaneutrale Kerzen; LG Frankfurt a. M. – Klimaneutrale Tiefkühlkroketten; OLG Schleswig – Klimaneutrale Müllbeutel; LG Konstanz– Klimaneutrales Premium-Heizöl; LG Oldenburg– Klimaneutrale Fleischprodukte; LG Mönchengladbach – Klimaneutrale Marmelade; LG Kleve – Klimaneutraler Süßwarenhersteller), die sich u.a. mit dem Inhalt und der Reichweite der mitzuteilenden Informationen, im Falle der Werbung mit Klimaneutralität befassen.

Urteil des OLG Frankfurt a.M. vom 10.11.2022 – Az. 6 U 104/22

1. Begriffsverständnis „klimaneutral“

Das OLG Frankfurt a. M. geht davon aus, dass der durchschnittliche Kunde den Begriff „klimaneutral“ in der Regel im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO2-Emissionen verstehen wird. Dies ist aufgrund des Fehlens einer gesetzlichen Definition und dem eigentlich weiterreichenden Begriff „Klima“ nicht selbstverständlich, entspricht aber auch der Auffassung des OLG Schleswig im Urteil vom 30.6.2022 – Az. 6 U 46/21. Weitere Obergerichte könnten sich dieser Auffassung anschließen.

Das OLG Frankfurt a.M. geht weiter davon aus, dass dem Kunden regelmäßig bekannt sei, dass die Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen (z.B. Zertifikatehandel, Ausgleichsprojekte) erreicht werden kann. Gleichwohl erkennt es ein Interesse des Kunden an der Aufklärung über die grundlegenden Umstände der von dem Unternehmen beanspruchten Klimaneutralität an.

2. Aufklärung über das Bezugsobjekt der Werbeaussage „klimaneutral“

Um eine informierte Entscheidung treffen zu können, müsse nach Ansicht des OLG Frankfurt a.M. der Kunde z.B. wissen, ob sich die Klimaneutralität auf das Unternehmen (Corporate Carbon Footprint), auf das angebotene Produkt (Product Carbon Footprint) oder auf beides bezieht.

3. Bedeutung der Scope 3-Emissionen nach dem Greenhouse Gas (GHG) Protocol bei der Werbung mit Klimaneutralität

Bezieht sich die beworbene Klimaneutralität auf das gesamte Unternehmen und werden einige Emissionen, wie z.B. Scope 3-Emissionen nach dem Greenhouse Gas (GHG) Protocol (wichtigste Standardreihe für das Treibhausgas-Reporting und -Accounting) bei der Bilanzierung ausgeklammert, dürfe nach Ansicht des OLG Frankfurt a.M. der Kunde hierüber nicht hinweggetäuscht werden. Scope 3-Emissionen nach dem Greenhouse Gas (GHG) Protocol sind solche, die nicht unmittelbar beim werbenden Unternehmen anfallen, sondern bereits in der vorgelagerten Lieferkette oder bei der nachgelagerten Verwendung des Produktes bzw. der Dienstleistung freigesetzt werden. Den Scope 3-Emissionen ist gemein, dass sie nicht der unmittelbaren Kontrolle des werbenden Unternehmens unterliegen, aber durch dieses veranlasst werden. Hierunter fallen bspw. Emissionen,

  • die im Rahmen der Gewinnung oder Herstellung zugekaufter Güter und Rohstoffe,
  • durch den Transport der Ware,
  • durch Geschäftsreisen mit Verkehrsmitteln Dritter (bspw. Passagier-Flugzeug),
  • durch die Beseitigung von Abfällen, die bei der Herstellung von zugekauften Vorprodukten,
  • durch die Beseitigung des Produkts selbst,
  • durch die Produktnutzung oder
  • durch die vom Vertragspartner zur Herstellung bzw. Gewinnung der Vorprodukte genutzten Fahrzeuge entstehen.

Weitere Beispiele und nähere Informationen zum Scope-System des Greenhouse Gas (GHG) Protocol für Unternehmen sind unter https://ghgprotocol.org/corporate-standard abrufbar.

Nach Auffassung des OLG Frankfurt a.M. hat ein Unternehmer darauf hinzuweisen, wenn solche „indirekten Emissionen“ ganz oder teilweise in der Bilanzierung nicht berücksichtigt werden. Dass das Greenhouse Gas (GHG) Protocol für die Berechnung der CO2-Bilanz das Ausklammern von Scope 3-Emissionen zulässt, solle an der Aufklärungspflicht nichts ändern. Der durch die Werbung angesprochene Käuferkreis wisse nämlich nicht, dass das Greenhouse Gas (GHG) Protocol die Nichtberücksichtigung von Scope 3-Emissionen im Rahmen der Bilanzierung zulasse.

4. Folgen für die Praxis aus dem Urteil des OLG Frankfurt a.M. und Ausblick

Nach Auffassung des OLG Frankfurt a.M. ist eine Aufklärung darüber erforderlich,

  • ob die behauptete Klimaneutralität ganz oder teilweise durch Einsparungen bzw. durch Kompensationsmaßnahmen erreicht wird,
  • ob bestimmte Emissionen von der CO2-Bilanzierung ausgenommen wurden und
  • im Falle eines verwendeten Gütesiegels anhand welcher Kriterien die Prüfung für das Gütesiegel erfolgte.

Nicht erforderlich sei dagegen eine Aufklärung über Details der Klimabilanzierung, wie z.B.

  • über den Umfang von Reduzierungsmaßnahmen im Verhältnis zum ermittelten Ausstoß oder
  • über den Gegenstand des zur Kompensation unterstützten Klimaprojekts.

Zu betonen ist, dass sich die Ausführungen des OLG Frankfurt a.M. auf die Vermarktung eines Geschirrspülmittels für den Hausgebrauch und somit auf einen Gegenstand des täglichen Gebrauchs mit geringen Wert bezogen. Bei höherpreisigen Produkten oder Dienstleistungen kann der Umfang an bereitzustellenden Informationen durchaus weiterreichen. Der Umfang an bereitzustellenden Informationen hängt zudem von etwaigen räumlichen und zeitlichen Beschränkungen des gewählten Werbemittels ab. Oft sind diese ungeeignet, alle wesentlichen Informationen weiterzugeben, die für eine informierte Entscheidung des Kunden notwendig wären. Daher ist es bspw. anerkannt, dass im Falle der Werbung mit einem Siegel, hinsichtlich der Prüfkriterien auf eine Internetseite verwiesen werden darf, auf der für den Verbraucher nähere Informationen in Form von kurzen Zusammenfassungen der bei der Prüfung herangezogenen Kriterien zur Verfügung stehen.

Der Umfang bereitzustellender Informationen ist einzelfallabhängig zu bestimmen und beruht auf einer konkreten Interessenabwägung. Es ist danach zu fragen, ob dem Kunden in Bezug auf die Werbeaussage wesentliche Informationen vorenthalten werden und ob der Kunde eine Aufklärung über diese Umstände erwarten darf. Das OLG Frankfurt a.M. gibt für die Beantwortung der Frage eine brauchbare Orientierungshilfe. Ob sich andere Obergerichte der Auffassung des OLG Frankfurt a.M. anschließen werden, dürfte allerdings bis zu einer Entscheidung des BGH ungewiss bleiben. Bislang ist eine klare Linie in der Rechtsprechung nicht zu erkennen.

Ein besonderes Augenmerk sollte auch auf den Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Ergänzung der UGP-RL im Rahmen des Green Deals gelegt werden. Der Richtlinienvorschlag (abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52022PC0143) sieht u.a. eine Ergänzung der sog. „Schwarzen Liste“ vor, die einzelne Handlungen gegenüber Verbrauchern als stets unzulässig einstuft. Diese betreffen neben dem Anbringen von Nachhaltigkeitssiegeln, die nicht auf einem Zertifizierungssystem beruhen oder von staatlichen Stellen festgesetzt wurden auch das Aufstellen allgemeiner Umweltaussagen. Als „allgemeine Umweltaussage“ definiert der Richtlinienentwurf „eine ausdrückliche Umweltaussage, die nicht auf einem Nachhaltigkeitssiegel enthalten ist und bei der die Spezifizierung der Aussage nicht auf demselben Medium klar und in hervorgehobener Weise angegeben ist“.  Die Europäische Kommission beabsichtigt mit der Regelung, dass allgemeine Umweltaussagen verboten werden, wenn keine hervorragende Umweltleistung nachgewiesen wird (z.B. durch Einhaltung der Verordnung (EG) Nr. 66/2010) oder wenn die Spezifizierung der Aussage nicht auf demselben Medium klar und in hervorgehobener Weise angegeben ist, beispielsweise im selben Fernseh- oder Radiowerbespot, auf der Produktverpackung oder der Online-Verkaufsoberfläche. Beispielhaft zählt der Richtlinienentwurf folgende Begriffe als allgemeine Umweltaussagen auf:

  • umweltfreundlich,
  • umweltschonend,
  • öko,
  • grün,
  • naturfreundlich,
  • ökologisch,
  • umweltgerecht,
  • klimafreundlich,
  • umweltverträglich,
  • CO2-freundlich,
  • CO2-neutral,
  • CO2-positiv,
  • energieeffizient,
  • biologisch abbaubar,

Auch den Begriff „klimaneutral“ führen die Erwägunsggründe zum Richtlinienentwurf explizit auf. Vorsorglich sollte daher diese Umweltaussage weiter spezifiziert werden, wenn sie nicht auf einem Nachhaltigkeitssiegel enthalten ist oder keine hervorragende Umweltleistung nachgewiesen werden kann. Als Beispiel führen die Erwägungsgründe aus, dass die auf ein Produkt bezogene Aussage „biologisch abbaubar“ eine allgemeine Aussage sei, während die Aussage „die Verpackung ist im Falle der Eigenkompostierung innerhalb eines Monats biologisch abbaubar“ eine spezifische Aussage ist, die nicht unter dieses Verbot falle.

Auch sind mit der Initiative für Umweltaussagen und der Initiative für nachhaltige Produkte zwei weitere Ergänzungen auf EU-Ebene durch die Europäische Kommission geplant, die zusätzliche Anforderungen an Umweltaussagen stellen werden.

Es handelt sich bei den umweltbezogenen Aussagen insgesamt um eine im stark im Wandel befindliche Materie.

Gerne beraten wir Sie hierzu.

Das Beratungsangebot von GKD Rechtsanwälte im Wettbewerbsrecht

GKD RECHTSANWÄLTE berät Sie im gesamten Wettbewerbsrecht. Zu unserem Beratungsspektrum zählt u.a.:

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  • Abwehr wettbewerbsrechtlicher Ansprüche von Mitbewerbern, Verbänden oder der Wettbewerbszentrale,
  • Data Warehousing,
  • Domainnamen,
  • Durchsetzung von Abwehransprüchen, gerichtlich und außergerichtlich,
  • einstweilige Verfügung und Klageverfahren,
  • Eröffnung von Onlineshops,
  • Erstellung von AGB,
  • Gestaltung des Webauftritts und Marketingmaßnahmen,
  • Modifizierte Unterlassungserklärungen,
  • Online- und Telefonmarketing, E-Mail-Werbung,
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  • Produkteinführung und Vertrieb,
  • Schutzschriften,
  • Überprüfung des Marktverhaltens von Mitbewerbern,
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  • vorgerichtliche Abmahnung.

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