Am 23.06.2022 hat der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1152 vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union (Arbeitsbedingungenrichtlinie) gebilligt. Über die damit einhergehenden Änderungen haben wir bereits in mehreren Beiträgen berichtet (zum Beitrag). Die wichtigsten und umfangreichsten Änderungen sind für das bisher eher unbekannte Nachweisgesetz (NachwG) beschlossen worden. Die Änderung des Nachweisgesetzes tritt am 1. August 2022 in Kraft. Von diesem Zeitpunkt an drohen empfindliche Geldbußen für Arbeitgeber, die die neuen Vorgaben in ihren Arbeitsverträgen nicht berücksichtigen.Weiterlesen
In einem Beitrag in Der Betrieb (2022, 158) hat unser Partner Dr. Rolf Stagat eine Besprechung zum Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 08.02.2022 (BAG, Beschluss vom 08.02.2022 – 9 AZB 40/21) veröffentlicht. Darin erläutert er u.a., dass und weshalb GmbH-Geschäftsführer häufig versuchen, die Ansprüche aus ihrem Anstellungsvertrag vor den Arbeitsgerichten durchzusetzen und dass der Beschluss des BAG vom 08.02.2022 zeigt, dass die bisherige sic-non-Rspr. mit dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff nicht kompatibel ist.
Im konkreten Fall führte dies im Ergebnis dazu, dass die klagende Geschäftsführerin die Abgeltung ihres Urlaubs vor den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit erstreiten muss, die weder mit der Rspr. des BAG zum Urlaubsrecht vertraut sind, noch mit der Rspr. des EuGH, der das Urlaubsrecht durch neuere Entscheidungen zu einer sehr komplexen Materie gemacht hat. Geschäftsführern die Entscheidung durch das hierfür sachkundige Gericht vorzuenthalten, erscheint zweifelhaft. Die Entscheidung des BAG ist deshalb kritisch zu sehen.Weiterlesen
Sachverhalt
Im vom BAG entschiedenen Fall machte der Arbeitgeber widerklagend Schadensersatzansprüche gegen einen Arbeitnehmer geltend. Der Arbeitgeber produziert Autoteile und ließ verschiedene dafür benötigte Einzelteile in Heimarbeit fertigen. Dem Arbeitnehmer oblag es, die für die Heimarbeit tatsächlich benötigt Arbeitszeit nach arbeitswissenschaftlichen Methoden im EDV-System des Arbeitgebers zu erfassen.
Nachdem es im Arbeitsverhältnis vermehrt zu Differenzen gekommen war – die teilweise auch vor Gericht ausgefochten worden waren -, warf der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor, jahrelang in mehreren hundert Fällen pflichtwidrig zu lange Vorgabezeiten im EDV-System freigegeben zu haben. Dadurch sei ihm ein beträchtlicher finanzieller Schaden entstanden, der in überhöhten Personalkosten (basierend auf den zu langen Vorgabezeiten) und in den Kosten von deshalb unnötig angeschafften zehn Maschinen bestehe. Die Schadensverursachende Fehlleistung des Klägers habe er erst nach und nach bemerkt. Der Kläger bestritt, seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt zu haben. In den wöchentlichen Arbeitsbesprechungen sei allen Beteiligten klar gewesen, dass die Vorgabenzeiten erst später geändert werden sollten.
Das Arbeitsgericht hat die Widerklage in erster Instanz abgewiesen. Das LAG hat ihr in der Berufung zumindest hinsichtlich der Personalkosten stattgegeben. Auf die Revision des Arbeitnehmers hat das BAG das Urteil des LAG aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.
Gründe
In der Entscheidung führt das BAG aus, dass ein Anspruch des Arbeitgebers auf den Ersatz von Personalkosten nicht bestehe, weil der Arbeitgeber kein Verschulden des Arbeitnehmers nachgewiesen habe. Er habe nicht ausreichend dargelegt, dass es sich bei den Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers nicht nur um typische und unvermeidbare Fehler und Versäumnisse gehandelt habe. Nach § 619a BGB liege aber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt hat und nach 280 Abs. 1 BGB dem Arbeitgeber zum Schadensersatz verpflichtet ist, allein beim Arbeitgeber.
Außerdem habe das LAG aber auch fälschlicherweise die Frage eines Mitverschuldens des Arbeitgebers gem. § 254 BGB durch Organisationsdefizite nicht von Amts wegen geprüft. Denn es sei allgemein anzunehmen, dass Vorgesetzte selbst Aufgaben der Mitarbeiterführung und -überwachung hätten. Das LAG habe deshalb zu prüfen gehabt, ob es tatsächliche oder generell erforderliche Aufgabe des Vorgesetzten des Arbeitnehmers gewesen wäre, sich im Rahmen der vorgetragenen Besprechungen und/oder durch Stichproben einen regelmäßigen Überblick über die Aufgabenerfüllung in seiner Abteilung zu verschaffen. Dies gelte umso mehr, als dem Vorgesetzten nach dem eigenen Vortrag des Arbeitgebers bereits im Herbst/Winter 2007 Arbeitsmängel des Arbeitnehmers aufgefallen seien. Eine wenigstens gelegentliche stichprobenartige Kontrolle zu einem viel früheren Zeitpunkt hätte dem behaupteten Fehlverhalten ein Ende gesetzt, was ggf. schadensmindernd zu berücksichtigen sei. Für das Vorliegen schadensmindernder Umstände trage zwar der Schädiger – hier also der Arbeitnehmer – grundsätzlich die Beweislast, allerdings dürfe er beanspruchen, dass der Arbeitgeber an der Beweisführung mitwirke, soweit es sich um Umstände aus seiner Späher handle; dies könne die Darlegung beinhalten, was zur Schadensminderung unternommen worden sei.
Der Anspruch auf Erstattung von fiktiven Maschinenlaufzeitkosten entfalle außerdem, weil ein Abstellen auf Durchschnittswerte und abstrakte Berechnungen hierfür nicht ausreiche.
Das Verfahren wurde deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück-verwiesen.
Fazit
Dass der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für Pflichtverstöße des Arbeitnehmers trägt, ergibt sich schon aus den gesetzlichen Vorschriften (vgl. § 619a BGB). Neu ist allerdings die Deutlichkeit, mit der das BAG dem Arbeitgeber erhebliche Organisations- und Kontrollpflichten auferlegt, wenn später erfolgreich Schadensersatzansprüche gegen Arbeitnehmer durchgesetzt werden sollen.
So soll der Arbeitgeber z.B. Nachfragen in Arbeitsbesprechungen, Stichproben und standardisierte Kontrollen durchführen. Betont werden außerdem die Überwachungs- und Kontrollpflichten durch Vorgesetzte. Ein Defizit bei diesen Organisationpflichten kann nach Ansicht des BAG ein Mitverschulden des Arbeitgebers begründen. Dies gilt insbesondere dann, wenn trotz Vorkommnissen in der Vergangenheit keine der Sorgfaltspflichten entsprechenden Kontrollmaßnahmen getroffen werden. Schließlich hat der Arbeitnehmer nach Ansicht des BAG sogar einen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber an der Beweisführung des Arbeitnehmers hinsichtlich des Mitverschuldens mitzuwirken hat. Der Arbeitgeber muss im Zweifel darlegen, welche Maßnahmen er selbst zur Schadensminderung ergriffen hat.
Für den Arbeitgeber bedeutet dieses Urteil, dass er auf eine diese Vorgaben erfüllende Organisation achten und auf entsprechende Vorkommnisse unbedingt reagieren sollte. Andernfalls können Schadensersatzansprüche gegen Arbeitnehmer schon an dieser Hürde scheitern. Dementsprechend sollte der Arbeitgeber auch auf eine sorgfältige Dokumentation achten, um Organisationsmaßnahmen in einem möglichen Prozess nachweisen zu können.
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